Circum baltikum Sommer 2024

Eine Reise mit Zug, Schiff und Sohn um die Ostsee.



Prolog:
Die letzten Jahre bin ich mit meinen (reisefreudigen) Jungs im Sommer immer zwei Wochen mit dem Zug in Deutschland unterwegs gewesen. Eine dieser zwei Wochen, das war ein ungeschriebenes Gesetz, verbrachten wir dabei an der Ostsee in Heiligendamm, dem angeblich ältesten Seebad Deutschlands. Anreise natürlich mit dem Zug, wobei die letzten Kilometer immer die allerschönsten waren. Und da der Molli in seinen Bahnhöfen Ferienwohnungen vermietet, haben wir sozusagen Ferien mit (Dampf-)Bahn-Anschluss gebucht - Mit dem Molli zum Strand nach Kühlungsborn, mit dem Molli zum Einlaufen oder mit dem Molli zum Eisessen. Dampfzug fahren wie eine S-Bahn. Linus, der damals noch "Kleine", hat es sich auch nicht nehmen lassen, morgens um 7 Uhr den ersten Zug vom Schlafzimmerfenster aus "abzufertigen" und sich dann wieder hinzulegen.

Nun hat der Große eine Freundin, und da wollte er seine Ferien einmal anders gestalten. Gerade beim Erstellen dieses Berichts ist er mit ihr per D-Ticket von Böblingen bei Stuttgart zur Oma nach Buxtehude bei Hamburg gefahren... Rund 10 Stunden Fahrzeit einschließlich eines eingeplanten Stadtbesuches in Würzburg waren es (o.k., das im Nahverkehr sehr langsame Stück Würzburg - Göttingen haben sie im ICE überbrückt), aber: es hat trotz sieben Umstiegen alles geklappt!

Linus, inzwischen auch schon 14 Jahre alt und nicht mehr so klein, und ich haben uns daraufhin überlegt, was wir denn dieses Jahr im Sommer machen möchten. Das konnte ja nun auch etwas sein, auf das der "Große" nicht so Lust haben würde. Die Idee kam schließlich von Linus: Meer auf jeden Fall, aber vielleicht einmal nicht nur an, sondern eine Reise um die Ostsee? Kurz: So kam es auch! Wir reisten mit Zug, Schiff und einigen anderen Verkehrsmitteln zwei Wochen lang (fast) einmal um das Baltische Meer. Vorgebucht haben wir einzig die erste Etappe bis Schweden, die Fähre nach Estland und am letzten Tag den Nachtzug Warschau - München. Dazwischen haben wir uns treiben lassen, sind an schönen Orten länger geblieben und an anderen weniger lang, haben Unterkünfte und Fahrkarten immer spontan gebucht und - soviel sei schon gesagt - eine Reise gehabt, an die wir sicher noch lange zurück denken werden.

Böblingen, kurz nach 7 Uhr. Gleich geht es los!



Da werden wir die nächsten Tage entlang fahren. Wir wissen es nur noch nicht (zumindest noch nicht alles).

Quelle: ältere Kursbuch-Streckenkarte der DB.


Gleich der erste Zug hat Verspätung! Hurra! Da wir in Stuttgart unseren Anschluss verpassen, schalten wir einmal Fahrplan und bahn.de aus, fahren wir erstmal mit dem nächsten Zug nach Frankfurt und schauen, wie wir weiter Richtung NRW kommen. Im Angebot ist ein seltsamer Intercity, der ohne Halt bis Dortmund fahren soll?! Der entpuppt sich als Doppelstock-IC und fährt über die wunderschöne Strecke via Wetzlar, Siegen-Weidenau und durch das Lennetal. Nur der Zug selbst tut sich mit dem Finden des richtigen Fahrweges noch etwas schwer.
Ohne Halt Ffm - Dortmund. Oder doch eine Fahrt ins Nichts?



Praktisch: Im Hotel in Dortmund kann man vor dem Schlafengehen den Stadtplan lernen.


Zur Konfirmation im April 2024 hat Linus einen Besuch beim "Starlight Express"-Musical in Bochum geschenkt bekommen. Diesen Termin bauen wir in unsere Nord-Reise ein. Aus Stuttgarter Sicht liegt Bochum ja schon kurz vor der dänischen Grenze. Vorher treffen wir uns noch mit einem meiner Stuttgarter Kollegen (hallo David!), der ursprünglich aus Bochum kommt. Er zeigt uns noch ein wenig seine Stadt, führt uns in eine Schnitzel-Gaststätte, die wir ohne ihn nie entdeckt hätten und gibt uns noch ein paar Tipps mit auf den Weg. Dann geht es zum Theater.
Vor -zig Jahren fuhr meine Mutter mit ihrem Sohn zum Starlight-Express . Nun fährt der Sohn meiner Mutter mit seinem Sohn dorthin...





Wir haben Top-Plätze, ganz unten und damit mitten im Geschehen! Die Schauspieler flitzen auf ihren Rollschuhen vorne und hinten um uns herum.Das war richtig gut! Und genau das Richtige für Bahn-Fans.


Am nächsten Tag geht es - nicht zu früh - gegen 10:30 Uhr auf die Langstrecke: Bochum - Malmö! Aber was so endlos klingt, wird am Ende eine erstaunlich zügig vergehende Fahrt, in die wir sogar eine eineinhalbstündige Mittagspause in Hamburg einbauen. Dort treffen wir uns mit meiner Schwester Carola und ihrem Freund Ben. Linus wusste davon aber nichts und fällt aus allen Wolken, als Ben ihn beim Betreten des "Schweinske"-Restaurant im Hauptbahnhof plötzlich von hinten anspricht.

Die Zugbindung unserer Fahrkarte ist längst aufgehoben. Also besteigen wir den nächsten Intercity nach Kopenhagen.
Norden, wir kommen! Hamburg Hauptbahnhof vor der Abfahrt nach Dänemark.


Wir lassen uns im nicht reservierten Kleinkindabteil nieder und haben eine grundentspannte, pünktliche Fahrt! Auch die angebliche Platzkartenpflicht interessiert niemanden.
Hamburg, wir fahren über die Alster.


Rendsburg, wir fahren über den NOK.


Dänemark, wir fahren das erste Mal über das Meer.


København, Gleisebene mit Sohn und unserem Zug...


...und die Empfangshalle oben im Abendlicht.
Es ist nun kurz nach 20 Uhr. Dann springen wir in den nächsten Oeresund-Zug, fahren das zweite Mal über das Meer und...


...hüpfen hinüber nach Schweden. Die ganze Fahrt von Böblingen mit dem Stopps in Bochum und Hamburg nach Malmö hat für uns zusammen dank eines findigen Verkäufers im Reisezentrum Hamburg-Harburg vor einigen Wochen müde 73 Euro gekostet...



In Malmö machen wir dieses Mal nur einen Zwischenstopp. In einem überteuerten Hotel (kleines Zimmer ohne Frühstück 110 Euro) übernachten wir und wandern am nächsten Morgen zum Bahnhof zurück.
Malmö, Stadt am Wasser. Aber heute nur Durchreisestation.




Es ist Sonntag. Um kurz nach 9 Uhr geht es los. Die 600 Kilometer lange Strecke nach Stockholm legen wir in den kommenden 5 Stunden nicht mit einem der X2-Schnellzüge der Staatsbahn SJ (siehe vorletztes Bild) zurück,
sondern vertrauen uns der privaten Konkurrenz "Snälltåget" an - und bereuen es zu keiner Zeit!



Während draußen die Bilderbuchlandschaft Südschwedens mit Seen und kleinen roten Holzhäuschen vorüberzieht, degustieren wir im klassischen Speisewagen (wirklich ein Speisewagen. Kein "Bord-Restaurant" oder so etwas) ein Frühstück.


Plüschig und viel Platz: So lässt es sich reisen! Ehemalige Deutsche-Bundesbahn-Abteilwagen, die über den "Locomore"-Schnellzug nach Schweden gingen.


Freie Fahrt für uns, irgendwo unterwegs.


Kurz nach 14 Uhr kommen wir in Stockholm Central an.
Blick in die etwas unübersichtliche Bahnhofshalle.


Nun haben wir noch den gesamten Nachmittag (und morgen) Zeit für die schwedische Hauptstadt. Zunächst bringen wir unsere großen Rucksäcke in die Unterkunft. Das sind die drei Schiffe/Hausboote unten im Bild, gegenüber der Stockholmer Innenstadt auf dem innerstädtischen Riddarfjäden. Im linken Schiff "Rygerfjord" sind die Rezeption und das Restaurant untergebracht, geschlafen wird in den beiden Hausbooten am Ponton rechts daneben. Keine Luxusherberge, aber für Skandinavien wirklich absolut stilecht (und sogar recht preiswert)!
Wasser-Bett! Unsere Unterkunft für die kommende Nacht.


Von einem felsigen Steilufer direkt hinter unserem "Anleger" hat man nicht nur einen guten Blick auf unsere schwimmende Unterkunft, sondern auch auf die Ausfahrt aus dem Stockholmer Hauptbahnhof. Für eine Hauptstadt ist der Zugverkehr hier recht dünn. Also nicht alle 5 oder 10 min eine Ein- oder Ausfahrt.
Nach einigem Warten verlassen ein X2...


...und ein Kiss-Doppelstockzug (sowie passend dazu ein Schiff) die Stadt.


Blick nach steuerbord, und wir sehen die Altstadt ("Gamla Stan"). Da wollen wir gleich hin.
Die weißen Stelzen rechts im Bild hinter der Kirche sollten wir uns einmal merken.


Aber vorher gibt es etwas zu essen!
In Schweden sind das natürlich Köttbullar (wobei das "K" wie ein "Sch" ausgesprochen wird).


Zufällig kommen wir genau zur Wachablösung am Kunigliga slottet, also dem Königlichen Schloss vorbei.
Überhaupt kann man sich beim Lesen vieles aus der schwedischen Sprache herleiten.


Altstadtgasse nach einem der zwei Regenschauer auf unserer Reise.


Ähnlich wie in Hamburg gibt es auch in Stockholm einige Linienschiffe im Stadtgebiet. Für umgerechnet über sechs Euro haben wir nicht das ganze Schiff gekauft, sondern nur eineinhalb Einzelfahrkarten für 75 Minuten. Das reicht für eine Runde auf dem dreiecksförmigen Kurs der Linie 82. Automaten gibt es nicht. Man muss entweder eine App der Verkehrsbetriebe laden, mit Kreditkarte an einem Lesegerät zahlen (damit bekommt man aber keine Kinderfahrkarten) oder an einen besetzten Schalter gehen. Schöne neue Welt, aber für Besucher hochgradig unpraktisch und für Kinder ungeeignet.
Stockholm zu Wasser


Gegenverkehr. Auch die seltsamen Stelzen rücken näher!


Das Geheimnis ist gelüftet: Die Stelzen gehören zu Achterbahnen und Free-Fall-Towers eines innerstädtischen Rummelplatzes, ähnlich wie das Tivoli in Kopenhagen oder der Prater in Wien.
Mit dem Schiff zum Rummelplatz mitten in der Stadt. Linus ist begeistert!


Gegen Abend beziehen wir unsere Kabinen auf dem Hausboot.
Blick aus unserer Schlafkabine auf Fjord und Altstadt (und den Zugverkehr)...


...und von der, wenn man so will, Hotelterrasse (der Ponton). Es ist 22:30 Uhr und noch taghell.


Nach der etwas kürzeren Nacht gestern in Malmö schlafen wir heute einmal ein wenig länger. Ab und zu wird man daran erinnert, sich auf einem Schiff zu befinden, wenn der Hausboot ganz leicht schaukelt. Auf dem Hauptschiff ist am Morgen ein Frühstücksbuffet aufgebaut. Essen kann man dann entweder im Salon draußen in der sonne auf der Mole. Gefällt!
Dann laufen wir wieder Richtung Altstadt. Aber nicht zum Zug...


...sondern wieder zum Anleger der Fähre zum Jahrmarkt.

Auf vielfachen Wunsch eines einzelnen Herren verbringen wir den Vormittag im Freizeitpark "Gröna Lund". Aber ich möchte ehrlich sein: das hat richtig Spaß gemacht! Wir kaufen uns eine Art Punktekarte, von der dann beim Betreten eines Fahrgeschäftes einige Punkte abgerissen werden. Wir sind gleich vormittags zur Eröffnung da. Es ist noch schön leer. In der ersten Achterbahn, in der man senkrecht ins Wasser gekippt zu werden scheint, lässt uns der nette Aufseher daher auch gleich drei Mal am Stück fahren (ohne, dass wir Punkte abgeben müssen). Linus lässt sich zum Abschluss mit unseren noch übrigen Punkten von einem sehr, sehr hohen Tower free in die Tiefe fallen.
Nicht ganz billig, aber jede Krone wert! "Gröna Lund"-Freizeitpark mit ineinander verschachtelten Achterbahnen mitten in Stockholm.


Zurück in die Stadt sparen wir die überteuerte Fähre und laufen wir zu Fuß.
Dabei kommen am genauso überteuerten Abba-Museum vorbei (p.P. etwa 35 Euro Eintritt).


Schweden eben!


Straßenbahn mit Werbung für das Abba-Museum. Dahinter das Hotel "Protagonist"
(oder so).




Die Deutsche Bahn ist auch schon da! Der Fahrer holt sich aber erstmal einen Hamburger bei Mc Donald´s.


Dann holen wir unser Gepäck vom Hotelschiff. Aber wir haben Zeit und wissen die zu nutzen (zum Beispiel so).


Für eine vollständige Umkreisung der Ostsee hätten wir eigentlich ganz oben über Haparanda nach Finnland fahren müssen. Das wäre etwa noch einmal so weit gewesen wie von Hamburg bis hier und wieder zurück - also ziemlich weit. Aber um einen Tag durch schwedische Birkenwälder nach Norden und einen weiteren Tag (oder eine Nachtzugreise) durch finnische Birkenwälder wieder nach Süden zurückzufahren, haben wir bei aller Freude am Zugfahren auch keine Lust. So kürzen wir ab Stockholm mit der Fähre hinüber ins Baltikum ab.

Im Stadtbus aus der Stadt zum Fährhafen haben wir keine Möglichkeit, für Linus eine Fahrkarte zu erwerben. Der Fahrer verkauft nichts, einen Automaten gibt selbst an "unserer" recht zentralen Haltestelle nicht, und der Kreditkarten-Leser im Bus kann nur Fahrkarten zum vollen Preis abbuchen. So weit, dass ich für Linus einen Erwachsenen"fahrschein" kaufe, geht die Liebe zu den Stockholmer Verkehrsbetrieben dann aber auch nicht. Wie man so ein System als "fortschrittlich" bezeichnen kann, bloß weil es bargeldlos ist und bestimmte Menschen bewusst von der Nutzung ausschließt, weiß ich nicht. Am Ende fährt Linus eben unfreiwillig schwarz. Ganz toll...

Der Bus bringt uns direkt zum Fährhafen, der sich etwas außerhalb des Zentrums befindet (zumindest der, an dem unsere Fähre liegt). Rechtzeitig vor der Abfahrt um 17:30 Uhr schiffen wir ein, beziehen unsere Kabine und freuen uns auf 16 entspannte Stunden auf See.
Pünktlich legt die "Victoria 1" der Silja-Line ab. Der Produktname "Tallink" unserer Verbindung weckt die Neugier auf das nächste Ziel unserer Reise.



Auf Wiedersehen, Stockholm! Es war eine nette erste Begegnung mit dir!



Foto: ein netter Este, der gleich mit meiner Kamera umzugehen wusste, die Sonne in den Rücken nahm und auch keine Füße o.ä. abschnitt!


Von wegen, Stockholm liegt an der Ostsee! Über mehrere Stunden kurvt unsere Fähre durch den Schärengarten. So ein Inselchen mit einem kleinen Anleger und einem roten Holzäuschen drauf... wäre das nicht etwas als Altersruhesitz?







Unsere Kabine, in der man Wand und Sofa nachts in zwei Betten verwandeln kann. Vorne im Bug ist vom Motor nichts zu hören.

Linus und ich sind aber bis spätabends fast die ganze Zeit auf dem Sonnendeck (siehe vorheriges Bild), essen ein Eis und genießen die Seereise!



Die sind sooo schön, die endlosen Abende im Norden, an denen es im Sommer nie richtig dunkel wird!
Auf der Ostsee zwischen Schweden und Estland, nachts um 23:30 Uhr.



Morgens gönnen wir uns ein geradezu opulentes Buffet und genießen bei Kaiserwetter die letzten Stunden auf See,



Tallinn rückt näher. Der Spot auf den Hügel mit der Altstadt macht Lust auf die ersten Schritte im Baltikum und verheißt eine Stadt der kurzen Wege.



Unsere schwimmende Heimat der letzten Stunden.



Wir beziehen unweit des Hafens Quartier und gehen dann auf Entdeckungsreise in die Stadt.
Die ehemalige "Stadthalle" in bröckelnder Beton-Brutalistik erinnert daran, dass das hier alles vor einiger Zeit noch Sowjetunion war!






Dann schreiten wir durch ein Stadttor in die Altstadt. Die wiederum erinnert nun gar nicht mehr an die "russische Zeit", sondern an eine altehrwürdige nordische Hansestadt, bunt und lebendig!



Hier wird man doch noch einmal an Russland erinnert. Oder: die Russen werden an ihr Verbrechen in der Ukraine erinnert.

Protest vor der russischen Botschaft in Estlands Hauptstadt Tallinn. Was können sich die Balten glücklich schätzen, dass sie sich Anfang der 1990er Jahre von der Sowjetunion befreit und wieder eigenständig gemacht haben - und der NATO beigetreten sind! Wer weiß, was der große Nachbar im Süden und Osten sonst für Ideen hätte.



Deutsche Literatur auf Estisch - eine Sprache, aus der man sich als Deutscher überhaupt nichts herleiten kann. Höchstens, dass offenbar auch in Tallinn der Röövel Hotzeplotzi gesucht wird.



Vergessen? Denkmal oder Mahnmal? Lastwagen aus Sowjetzeiten in Tallinn.



Nach wie vor lebt eine russische Minderheit in Estland (sowie auch in den anderen baltischen Staaten). Das führt bei politischen Interpretationen bisweilen zu Meinungsverschiedenheiten, aber zumeist zu keinen echten Konflikten. Aber auch dazu, dass man immer wieder auf die prunkvollen orthodoxen Kirchen trifft.
Alexander-Newski-Kathedrale in Tallinn. Sie steht direkt gegenüber des estischen Parlamentsgebäudes.



Wie eine Metropole wirkt Tallinn nicht. Eher wie eine gepflegte Hafenstadt, die zufällig zur Hauptstadt wurde. So gibt es viele nette Ecken, die mehr kleinstädtischen Charakter tragen.



Freies Palästina? Tallinn im freien Estland mit wunderbaren Ausblicken auf Stadt und Meer...

Foto: zwei andere deutsche Touristen. Wir fotografierten uns gegenseitig.


...und einem entspannten Stadtleben zwischen den historischen Mauern.
Das ...-linn in "Tallinn", bei dem das zweite "n" gerne einmal vergessen wird, soll übrigens aus dem Dänischen (!) stammen und soviel wie "Stadt" bedeuten.



Auf dem Weg nachmittags zurück zur Unterkunft kommen wir am Bahnhof vorbei. Im Empfangsgebäude gibt es einen Fahrkartenschalter, ein Krust-Geschäft und einen Burger King.



Breitspur-Flirts und GTW, made in der Schweiz. Der Tallinner Hauptbahnhof, direkt unterhalb der Altstadt und 10 Fußminuten vom Hafen entfernt gelegen.

Ja, der erste Eindruck war korrekt: Tallinn ist wirklich eine Stadt der kurzen Wege!







Auch eine Straßenbahn mit zwei Linien gibt es in Tallinn. Gefahren wird mit Kasten-Tatras, von denen die Achtachser mit Niederflur-Mittelteil einen Namen tragen. Aufnahme im Bereich des Bahnhofes...




...und an der provisorischen Wendestelle am Fuße der Altstadt, da die Strecke zum Hafen (und unter der realsozialistischen Stadthalle hindurch) gerade grundsaniert und in einer großen Schleife bis direkt vorne vor die Fährterminals verlängert wird (löblich!).


Wir ruhen uns im Hotel ein wenig aus. Dann gehen wir noch einmal in die Altstadt, essen zu Abend und blicken auf die zwischenzeitlich sonnenbeschienene Stadt.






Am nächsten Tag verlassen wir das Hotel in die andere Richtung, nämlich zurück zum Hafen.
Das Schild erklärt, was wir heute machen wollen.


Drei Reedereien buhlen um Passagiere für die zweistündige Überfahrt nach Helsinki. Einige Schiffe genießen den zweifelhaften Ruf von Karaoke-Dampfern, auf denen besoffene Finnen, die in Estland günstig "getankt" haben, ihr Fremdschäm-Potenzial ausleben. Die zeitlich am besten passenden Fahrten bietet wieder Silja/Tallink an. Im Fährterminal ziehen wir zwei Rückfahrkarten am Automaten. Die sind dort übrigens nicht teurer als bei vorheriger Online-Buchung, aber wir sind dadurch bis zur Abfahrt flexibel (vielleicht zieht ja ein Schneesturm über die Ostsee, dass wir doch nicht fahren). Dann schiffen mit einer überraschend großen Zahl anderer Passagiere ein. Zum Einsatz kommt ein Schiff, dass für die Überfahrt, die nicht viel länger dauert als jene von Cuxhaven nach Helgoland, etwas überqualifiziert erscheint. Sogar Kabinen könnte man für die Überfahrt buchen.
Unsere Fähre, die sich ganz unbescheiden "Megastar" nennt und eher an einen Kreuzfahrer erinnert, für den Tagesausflug nach Finnland. Aufgenommen gestern bei der Einfahrt nach Tallinn.


Estland eben!


Fährhäfen sehen irgendwie alle gleich aus. Das hier ist der von Helsinki
(zu deutsch: Sonnenuntergang. Hahaha!).


Zur Begrüßung gibt es erst einmal eine Straßenbahn mit finnischem Wegweiser und krummen Pfeilen.


Wir laufen aber zu Fuß in die Innenstadt und erfrischen uns unterwegs.


Im Gegensatz zu Tallin wirkt Helsinki wirklich großstädtisch. Es gibt Einkaufszentren, Plätze, deutlich mehr als nur zwei Straßenbahnlinien und viele blonde (und nicht nur gefärbte) Menschen. Linus würde hier überhaupt nicht auffallen! Überraschend ist, dass Finnland gar nicht wirklich teurer ist als in Deutschland.
Helsinki downtown (1).


Abstecher auf den Hauptbahnhof, einem Kopfbahnhof mitten im Zentrum.


Offiziell ist Finnland zweisprachig, und deshalb sind es auch offizielle Beschriftungen wie hier das Bahnhofsschild: Finnisch (Helsinki) sowie schwedisch (Helsingfors), obwohl nur etwa 5% der Finnen schwedischsprachig sind.


Wiederum andere sprechen auch Tschechisch! Hinweis auf die Kinderspielecke im Zug.






Breitspur-Dostos als Intercity.


Finnland eben! Nur die Sonne meint es heute nicht so gut mit uns.


Wir besuchen das Wahrzeichen Helsinkis, den Dom.
So ein markantes, berühmtes Bauwerk wie einen Eiffelturm, das jeder kennt, gibt es hier nicht. Aber auf Bildern hat man den Dom vielleicht doch schon einmal gesehen.


Blick von der Domtreppe.




Dreisprachig?


Auch in Helsinki gibt es Hafenfähren, aber mit einfacherem Fahrkartenerwerb als in Schweden. Linus wäre ein Lapsi.


Helsinki downtown (2)


Dann erwischt uns doch noch der zweite und letzte Regenschauer der Reise. Diese Marabou-Straßenbahn musste aber dennoch fotografiert werden!


Rück-Blick ins/aufs Fährterminal.


Finnisch und Estisch für Anfänger. Lektion 1: Das "Ä"!


In der reinen Lehre einer Ostsee-Umkreisung hätten wir von Helsinki aus noch den letzten, östlichsten Zipfel des Meeres umfahren müssen, um nach Estland zurück zu gelangen. Doch auch dieses - vergleichsweise kurze - Stück kürzen wir aus nachvollziehbaren Gründen mit dem Schiff ab. Putingrad kommt dann vielleicht später auf die Besuchsliste, wenn es wieder ein friedliches St. Petersburg ist.
Zurück auf der "Megastar" nach Tallinn, wo ich mir zollfreie Schuhe kaufe. Blick nach draußen...


...und nach drinnen. An diesem Tag werden wir nicht mehr alt, denn morgen müssen wir früh raus.


Nach mehreren Tagen auf Schiffen steht heute wieder eine Zugfahrt an. Wir tauchen dabei ein in die wunderbare Welt der 24-Stunden-Takte. Oder anders: Pro Tag eine Verbindung! Von Tallinn aus fahren zwar mehrere Züge an den Grenzbahnhof Valga. Aber nur einer von ihnen hat so etwas wie einen Anschluss über die Grenze nach Lettland. Heißt: wir müssen morgens um 07:15 Uhr in Tallinn abfahren, haben im Grenzort Valga mehrere Stunden Aufenthalt und fahren dann mit einem von zwei lettischen Zügen am Tag (von denen aber einer schon früh um 5 Uhr fährt und der natürlich noch keinen Anschluss aus Tallinn hat) nach Riga weiter. Sicherlich hätten wir das auch einfacher und schneller mit einem Fernbus fahren können. Aber wir möchten ja Zug fahren.

Im Hotel gibt es morgens um 06:30 Uhr noch kein Frühstück. Wir bekommen aber einen Lunchbeutel mit auf den Weg, den Linus am Vortag an der Rezeption bestellt hat. Dann wandern wir die 10 Minuten zum Bahnhof und beziehen in einem GTW-Triebzug Platz. Die 2+3-Bestuhlung fühlt sich in den erkennbar geräumigeren Breitspurfahrzeugen auch nicht zu eng an. Da der Schalter im Bahnhof (der beim Burger King und dem Krustladen) noch geschlossen hat, erhalten wir unsere Fahrkarten beim Schaffner im Zug.
Estnischer Breitspur-GTW von innen. Er wird uns in den nächsten viereinhalb Stunden an die lettische Grenze bringen.


Nein, nicht er bringt uns an die Grenze. Unterwegs müssen wir umsteigen in einen Schienenersatzverkehr. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn dieser Kelch einmal an uns vorüberginge. Das ganze ist aber top organisiert. Es gibt einen Direktbus nach Tartu, der dort den Zuganschluss weiter nach Valga herstellt, und einen über die Dörfer, der für den Umstieg aber zu spät in Tartu ankommt. Der Schaffner schaut genau, dass jeder Fahrgast im richtigen Bus sitzt, und erst dann dürfen die Busse abfahren.
Im SEV durchs estnische Hinterland. Ab Tartu fährt dann wieder der Zug. Ihr kennt Tartu nicht? Das ist immerhin eine der europäischen Kulturhauptstädte 2024!


Gegen Mittag kommen wir im Grenzort Valga an. Die Grenze läuft mitten durch den Ort, worauf man hier sogar ein wenig stolz zu sein scheint.
"...inn" heißt auf deutsch offenbar wirklich "Stadt". Bleibt die Frage, was "Tall..." heißt.


Lost in Valga... zweieinhalb Stunden haben wir und einige andere tapfere internationalen Reisenden hier nun Zwangsaufenthalt. Immerhin gibt es im Bahnhof sogar kostenlose Schließfächer - man weiß mit den gestrandeten Reisenden also umzugehen.


Um es vorwegzunehmen: so schlimm ist die Zeit in Valga nicht. Wir lernen auf diese Weise einmal nicht nur die Hauptstädte, sondern auch ein ganz gewöhnliches baltisches Kleinstädtchen kennen, in das wir sonst nie gekommen wären. Die Architektur ist eine Mischung aus preußischem Backstein - tatsächlich hieß die Stadt eine Zeitlang "Walk", wovon diese historische Bilder an Stadtmuseum zeugen - russischen Holzhäusern und Gebäuden aus der Sowjet- sowie natürlich der Neuzeit.
Ansichten aus Walk (deutsch)


Wir entdecken ein kleines Restaurant am Rande eines Wohngebietes. Es ist Mittagszeit, also mutig reingegangen. Was wird uns erwarten? Touris gibt es hier allenfalls in Form der zwangsaufgehaltenen Bahnreisenden oder ein paar Letten, die zum Einkaufen in das benachbarte estnische Einkaufszentrum fahren. Ansonsten sind wir hier mitten unter den Eingeborenen. Man versteht aber sogar englisch! So ist auch die Bestellung kein Problem, wobei wir natürlich nicht genau wissen, was wir uns da von der estnischen Speisekarte wohl bestellen.
Linus beim Bestellen in einer estnischen Gaststätte.


Was immer wir auch bestellt haben, wir haben eine kluge Entscheidung getroffen und sind danach... pappsatt! Zusammen zahlen wir einschl. eines Kuchens (siehe die Vitrine rechts in der Theke) als Nachtisch und drei Getränken rund 20 Euro.


Grenzgänger. Zu Sowjetzeiten gab es diese Grenze nicht. Man konnte von hier ohne Grenze bis Wladiwostok fahren.


Valga, von preußischem Backstein bis zu Wasserspielen der Neuzeit.


Wir gehen zum Bahnhof zurück und gratulieren irgendeiner Bahnstrecke zum 135. Geburtstag.


Der estnische Zug, der uns aus Tallinn hierher brachte, ist natürlich längst wieder zurückgefahren, als der Lette mit seinen etwas überdimensioniert erscheinenden Triebzug über die Grenze kommt.
Nun müssen auch die Fahrgäste der Gegenrichtung warten, denn der nächste estnische Zug nach Tartu - Tallinn fährt erst in zweieinhalb Stunden. Wer macht solche bescheuerten Fahrpläne? Man hat den ganzen Tag Zeit für Züge und lässt sie dennoch so aneinander vorbei fahren!


Realsozialistische Formensprache... Diese Züge traf man in vielen Ost-Ländern. Doch hergestellt wurden sie in Riga!


Die ursprünglichen Holz- und Kunstlederbänke hat man etwas lieblos gegen profane Überlandbus-Sitze getauscht. Schade um den vielen Platz in dem Beitspurfahrzeug.


Linus nimmt ein letztes estnisches Sonnenbad.


Dann geht es los Richtung Süden! Willkommen in Lettland! Saftige Wälder begleiten uns, durch das offene Fenster weht der Sommer hinein.


Wir nähern uns Riga. Bei diesem rustikalen Bahnsteig nebst Zuwegung über die Hauptgleise ist die Sowjetunion noch lebendig. Wenn man vorher nicht guckt, ist man es danach aber womöglich selbst nicht mehr.


Riga-Triebzug. So sieht der Motorwagen auf der anderen Seite aus.


Ankunft unseres am Ende doch recht voll gewordenen Zuges in Riga. Wir sind seit Tallinn nun rund 10 Stunden unterwegs gewesen - für etwa 450 Kilometer Zugfahrt...
. Während nebenan ein nagelneuer Hauptbahnhof im Zuge des Projektes "Rail Balica" (eine schnelle Schienenverbindung von Polen ins Baltikum, hoffentlich mit mehr Zügen als nur 1x am Tag) entsteht, strahlt der alte Bahnhof "Riga Passagierski." noch das Fluidum typisch osteuropäischer Bahnhöfe aus - niedrige Bahnsteigen, bröckelnder Beton, plärrende Lautsprecher, nicht wirklich barrierefrei und mit und grau als vorherrschende Farbe. Einzig das russische "Passagierski" hat man vom Schriftzug am Empfangsgebäude entfernt. Auf jeden Fall ist hier deutlich mehr Betrieb als in der estischen Hauptstadt.


Am Bahnhof werden wir abgeholt. Ja, echt! Mein Kollege und Hobbyfreund Leander ist mit seiner Mutter auf einer Reise ins Baltikum und zufällig genau in diesen Tagen in Riga! Was liegt näher, als in der Ferne ein Treffen zu arrangieren? Wenn das kein Willkommen ist! Und ein netter Einstand in einer Stadt, die - das sei schon gesagt - zu den schönsten Erlebnissen unserer Reise werden sollte.
Sveiki in Lettland! Klingt doch nett, oder?


Wir haben in Riga ein kleines schnuckeliges Appartement gebucht, gelegen in der Merkelstraße zwischen Bahnhof und der Altstadt


Es befindet sich in einem Gründerzeithaus, welches auch eher "deutsch" als irgendwie osteuropäisch anmutet. Aus dem Fenster schaut man in einen Innenhof mit Bäumen, trotz der zentralen Lage ist es absolut ruhig. Dorthin bringen wir unser großes Gepäck und treffen uns wieder mit Leander, der uns in die Stadt einführt.
Riga, Stadt am Fluss. Schön! Eisenbahnbrücke über die Düna. Gerade fährt einer der neuen Škoda-Vororttriebzüge über das Bauwerk.


Leander mag Tauben genauso gerne wie ich und spielt mit ihnen am liebsten "alle Vögel fliegen hoch".


Noch ´n paar Bahnfotos.






Blick zurück: Riga. Dort hinein wollen wir gleich gehen.


Vorher kommen noch ein paar Strabsen vorbei, neue...


...und alte. Rundgelutscher Tatrawagen mit Rollenstromabnehmer.
Die Fahrerin winkt nach meinem Foto fröhlich zurück - diese Herzlichkeit, wie ich sie hier noch freudig-überrascht erlebe, sollte unseren gesamten Aufenthalt in Riga prägen. Hinten die Petrikirche in der Altstadt. Sie wird von der deutschen St.-Petri-Gemeinde mitbetreut.





Dann tauchen wir ein in eine Stadt, die uns empfängt wie... ja, wie alte Freunde. Es ist ein eigenartiges Gefühl: Wir befinden uns 1.500 Kilometer von zu Hause und 1.000 Kilometer von "unseren" norddeutschen Hansestädten entfernt. Und doch fühlt sich diese Stadt, in der wir zuvor niemals gewesen sind, sofort an wie heimkommen! Prächtige Backsteingotik prägt die Innenstadt. Handelshäuser legen Zeugnis davon ab, dass man länger der Hanse verbunden war als der Sowjetunion. Eine wunderbar entspannte Stimmung und eine Leichtigkeit liegen an diesem Sommerabend über der Stadt, und alles vor so vertrauter Kulisse! Straßenmusiker spielen, überall sitzen Menschen in Cafés und Restaurants im Freien, und Möwenschreie erinnern an das nahe Meer. Schaut euch die nächsten Bilder an. Stadtbilder, wie wir sie aus Wismar, Stralsund oder Bremen kennen. Und überhaupt - Bremen...
Das Rathaus von Riga, Hansestadt. Natürlich in Backsteingotik! Warum aber ist in die Fassade der Bremer Schlüssel und eine deutsche Inschrift eingelassen?







Bis zum Einbruch der Dunkelheit wandeln wir durch die Gassen Rigas. Es ist Liebe auf den ersten Blick! Kann eine Stadt diese Liebe erwidern? Ja, sie kann es. Denn dass uns noch viel mehr verbindet, werden wir später noch erfahren.
Lettland eben!



Auch das kann verbinden...



Am nächsten Tag werden wir die Stadt erst einmal verlassen. Mit einer Art S-Bahn fahren wir eine gute halbe Stunde in nordwestliche Richtung. Die Fahrpreise sind sehr volkstümlich und der Tarif einfach: das ganze Land oder zumindest der Großraum Riga ist in Zonen aufgeteilt, und jede Zone kostet einen Euro! Am Bahnhof kaufen wir am Schalter gleich Hin- und Rückfahrt für Linus und mich. Die Verkäuferin sagt uns nach dem Kauf ungefragt auf englisch, wann und wo der nächste Zug in unsere Richtung fährt. Es sind so Kleinigkeiten, die sie uns hier wohlfühlen lassen.
Alter Bahnhof Riga Pass. (rechts) und der Neubau des "Rail-Baltica"-Hauptbahnhofes (links).



Da sind wir gestern angekommen.



Gestern haben wir diese Brücke fotografiert, jetzt fotografieren wir von ihr zurück.



Ankunft in Majori. Linus schaut schon mal, wo es gleich zum Meer geht.



Majori liegt auf einem schmalen Landstreifen zwischen dem Lielupe-Fluss (links) und der Ostsee. Auf diesem Landstreifen befinden sich viele kleine Badeorte entlang der Küste.



Endlich "richtig" am Meer! Bei Kaiserwetter an der lettischen Ostsee.





Viel Platz haben wir am Strand, die Sonne scheint... Also, Lettland gefällt mir immer mehr!
Wir sind mutig und gehen bei etwa 18°C Wassertemperatur ins Wasser.
Trau dich, Linus!



Trau dich, Heiko!

Foto: Linus.


Zwischendurch gehen wir in die kleine Fußgängerpromenade des Ortes zum Mittagessen. Zum Zurückfahren haben wir danach aber noch keine Lust und gehen nochmal an den Stand zurück. So ist es am Ende 17 Uhr, als wir den Heimweg nach Riga antreten. Von wegen, wir würden auf dieser Reise nur im Zug sitzen und durch und im Schnelldurchgang durch irgendwelche Länder hetzen.
Bäderverkehr zwischen den Ostseebädern und Riga. Will man auf den anderen Bahnsteig gehen, muss man in Lettland selbst aufpassen, ob ein Zug kommt. Uns Deutschen traut man so etwas schon lange nicht mehr zu.



Der Abend klingt so aus wie der vorherige, nur dass sich Linus zwischendurch schon einmal in die kleine Wohnung zurückzieht. Leander und ich streifen noch einige Stunden durch Riga. Ach, ist das schön hier!

Am kommenden Morgen gehen wir noch einmal in die Stadt. Dabei kommen wir an den Bremer Stadtmusikanten vorbei.
Bremer Stadtmusikanten?
In Riga?
Und warum ragen diese Eisenplatten rechts und links neben den Tieren auf?

Bremen ist die Partnerstadt von Riga. Die Hanse verbindet, auch Jahrhunderte nach ihrem Verschwinden... Im Jahre 1990, als sich die baltischen Staaten friedlich von der Sowjetunion lossagten, schenkte Bremen seiner Partnerstadt dieses Abbild der wohl berühmtesten deutschen Märchentiere und eines der Symbole Bremens. Doch warum die schweren Eisenplatten neben dem Denkmal? Es war noch zu Sowjetzeiten, als diese Skulptur gefertigt wurde. Zu einer Zeit, in der niemand wusste, ob diese Revolution auch friedlich enden würde. Ob Moskau sein Baltikum wirklich einfach so ziehen lässt. Diesen Aufbruch im Osten Europas, jene fast magische Zeit voller Hoffnung und Mut, symbolisieren diese Bremer Stadtmusikanten: sie brechen durch den Eisernen Vorhang in die Freiheit... da muss ich doch einen mächtigen Kloß im Hals herunterschlucken, als ich hier stehe, zwischen Backsteingotik und den Stadtmusikanten, 1.000 km von meiner Geburtsstadt entfernt... und sie mir auf einmal so ganz nahe ist. Wie hinten im Kopf die Ereignisse von damals, der "wind of change", wieder lebendig werden. Auch Riga darf sich seit jener Zeit wieder eine freie Hansestadt nennen. So wie "mein" Bremen.
Die Bremer Stadtmusikanten in Riga. Verbunden mit einer wunderbaren Geschichte, ohne die wir heute sicher nicht hier stünden.
Als echter Hanseat fasst man natürlich die Vorderläufe des Esels an und nicht die Schnauze!


Und warum dann der Bremer Schlüssel am Rathaus von Riga? Das ist doch viel älter als 1990?
Riga wurde im Jahre 1201 gegründet. Stadtgründer war ein Deutscher, ein Albert von Buxhoeveden. Und der war Bischof von Bremen... Also ist Riga eine bremische Gründung! Und heute Partnerstadt. Mann, was für eine Geschichte!

Voller Gedanken und Eindrücke kehren wir in einem Buffet-Restaurant ein, wo wir mit Leander noch einmal landestypisch zu Mittag essen: Man nimmt sich einen Teller, wählt aus verschiedenen Sorten Gemüse, Fleisch und Beilagen aus und zahlt dann an der Kasse nach Gewicht. Damit stärken wir uns für die kommenden Stunden.
Ein letzter Blick über die Stadt... Riga, ich komme wieder!



Einschub: In den letzten Tagen haben wir eine Menge Postkarten an Freunde und Verwandte geschrieben. Das ist doch irgendwie schöner und wertschätzender als nur Bilder über Signal oder Mail zu versenden (und ich bekomme auch oft Postkarten von Freunden und Verwandten zurück, über die ich mich freue). Im Bahnhof entdecken wir ein Postamt. Also - rein da und nach Briefmarken für zwölf Postkarten nach Deutschland gefragt. Das ist auf englisch kein Problem. Wir zahlen - aber die Postbeamtin gibt uns die Briefmarken nicht. Vielmehr fordert sie uns nun auf, ihr unseren Postkartenstapel zu geben. Ähem... was soll das werden? Na, sie würde die Karten für uns frankieren und die Marken aufkleben... Ich bin baff! Dann muss an den Moment mit der fröhlichen Straßenbahnfahrerin am ersten Abend denken. Und mag dieses Land noch ein bisschen mehr.

Dieses Bild stammt vom Vormittag. Wir sehen auf der Anzeigentafel 2/3 des gesamten internationalen Reisezugverkehrs Lettlands: ganz vorne einen der zwei Züge ins estnische Valga und um 15:28 Uhr die erst vor einigen Monaten wieder aufgenommene Verbindung nach Litauen.



Fahrkarten für den einzigen Zug am Tag nach Vinlius gibt es an den Schaltern der lettischen Eisenbahn nicht. Man kann ihn online buchen oder Restplätze des (platzkartenpflichtigen) Zuges direkt beim Schaffner kaufen. Ich buche auf der Webseite der litauischen Eisenbahn für Linus und mich für zusammen 36 Euro eineinhalb Fahrkarten Riga - Vilnius. Warum uns das System dann aber auf zwei weit auseinander liegende Plätze im Zug verteilt, wird ewig ein Geheimnis der litauischen Eisenbahn (LTG) bleiben. Vielleicht hätte ich doch besser Restplätze im Zug kaufen sollen, denn in Leanders App der LTG ist zu sehen, dass im C-Zugteil sehr wohl noch einige zusammenhängende Plätze frei gewesen wären.
Das ist er, der wiederbelebte 24-Stunden-Takt nach Litauen: Ein dreiteiliger Dieseltriebzug der litauischen Eisenbahn. Immerhin darf er in Riga von Gleis 1 abfahren



Der recht gut besetzte Zug, eine gepimpte Variante des auch bei der DB eingesetzten Pesa-Link aus Polen, innen.
Der Triebzug ist überraschend komfortabel, läuft sehr leise und bietet dank Breitspur-Wagenkästen viel Platz. Und freien Platz: Warum hat uns das System nicht gemeinsam an diese freien Tischplätze gebucht? Mein zugeteilter Sitz ist zudem ein Gangplatz entgegen der Fahrtrichtung.



Der Schaffner hat nichts dagegen, dass ich auf einen freien Platz umziehe: Tisch, Fenster, Fahrtrichtung links, kein Wandfensterplatz mit fettem Fensterholm vor der Nase. Nun bin ich zufrieden! Linus bleibt auf "seinem" Platz an einem Tisch sitzen und schläft irgendwann ein. Ich lese und lasse mir für erfreulich volkstümliche 1,70 Euro einen Tee bringen.




Wir sind nun in Litauen. Der Richtungsanzeiger dieses Bahnhofes informiert Fahrgäste und Fahrgästinnen, dass es rechts nach Vilnius und Kaunas sowie links in die Republik Lettland geht.



Mieses Bild eines privatisierten Erdbebens.




Die Fahrt verläuft sehr zügig und ohne mehrstündige Zwangsaufenthalte an irgendwelchen Grenz-Käffern. Die vier Stunden Fahrzeit für 350 Kilometer Zugfahrt sind da gar nicht so übel! So erreichen wir um halb acht Uhr abends die weit im Landesinneren gelegene litauische Hauptstadt.
Der litauische Zug feiert das Jahr 2021 als "Jahr der Eisenbahn" mit fiktiven Verbindungen nach Europa. In diesen Ländern könnte man lernen, dass man den europäischen Gedanken mit 24-Stunden-Takten noch nicht so wirklich begriffen hat.



Vilnius Hauptbahnhof, durchaus repräsentativ.



Unsere Pension direkt am Bahnhofsvorplatz macht inklusive des älteren Škoda-Trolleybusses von außen einen noch leicht sozialistischen Eindruck...



...ist aber innen eine echte Überraschung! Ein riesiges, modern ausgestattetes Zimmer, bequeme Betten, und das für irgendwas mit 50 Euro.



Da die Ankunft in Vilnius an frühen Abend erfolgte, erkunden wir die Stadt erstmals bei einbrechender Dunkelheit. Sie erinnert nicht mehr so sehr an die maritim geprägten Stadtbilder der zuvor besuchten Städte. Das ist insofern verständlich, alsdass die litauische Hauptstadt etwa 250 Kilometer von der Ostsee, dafür aber keine 50 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt liegt. Der erste Eindruck ist dennoch kein schlechter, wenngleich wir auf unserem Weg in die Altstadt immer wieder auf einige, sagen wir, etwas unaufgeräumte Ecken stoßen. Unten im Zentrum ist es dann aber wirklich nett. Linus verzehrt in einem litauischen Open-Air-Spezialitätenrestaurant noch eine litauische Spezialität. Es war irgendwas mit Huhn, Kroketten und Salat - echt lecker! Leider war ich noch satt aus Riga. Ob die über halbstündige Wartezeit auch eine litauische Spezialität ist, wissen wir nicht.
In der guten Stube von Vilnius.



Das litauische Essen war etwas schärfer als dieses Foto.



Abend an der Kathedrale Vilnius.



Der nächste Morgen an der Kathedrale von Vilnius.



Den Vormittag haben wir noch Zeit, bis der einzige Zug des Tages an die polnische Grenze abfährt. Gefühstückt haben wir bei McDonald´s, weil die "Eggspresso"-Bar (Spezialität: Eierspeisen), in der Pensionsgäste angeblich hätten frühstücken können, geschlossen war und der Bahnhofsbäcker nur Brötchen und Kuchenstücke im Angebot hatte.

Danach schauen wir uns noch einmal das an, was wir gestern bei Sonnenuntergang im Halblicht sahen. Freundlich ist es, alles etwas "kleinstädtischer" als Riga. Für einen ersten Eindruck von der Stadt waren der gestrige Abend und der heutige Vormittag, so unser Gefühl, erst einmal ausreichend.
Vilnius, Rathausplatz.



Irgendwas verbindet Litauen mit der fernen Ukraine. Vielleicht ist es die tiefe Abneigung gegen den gemeinsamen Nachbarn Russland?
Neuerer Trolleybus, der wie alle seine Brüder wechselweise sein Fahrziel und dieses Statement abgibt.



Litauen eben!



Den besteigen wir dann nächstes Mal. Der "Gediminas-Turm", Rest einer Burg aus dem 15. Jahrhundert, über der Altstadt.



Eine der noch etwas ostmäßig anmutenden Szenen, nur echt mit dem durchlöcherten Fußweg (wie entsteht so etwas?)



Ein paar Busse kommen vorbei: Solaris...



...Isuzu (!)...



...nochmal Solaris (dieses Mal XL und als elektrischer Stangenbus)...



...und nochmal Isuzu (dieses Mal XS).



Dann geht es zurück zum Bahnhof.


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Nicht nur die älteren O-Busse kommen von Škoda. Auch die Eisenbahn bediente sich (neuerer) Produkte aus Tschechien. Ein "City-Elefant" im Vilniuser Hauptbahnhof, daneben ein etwas zu groß geratener (breitspuriger) 640-Verschnitt.



Zum zweimal Hinschauen.



Doppel-Dostos (jetzt ohne Spiegelung). Offenbar hat man bei den Garnituren einmal blasse und farbkräftige Mittel- und Endwagen getauscht.



Direkt parallel zum Bahnhof, vor der Verwaltung der litauischen Eisenbahn, befinden sich einige Museumsgleise. Von einer Fußgängerbrücke, die den ganzen Bahnhof überspannt, kann man von oben hineinschauen. Dort steht zum Beispiel ein D2-Dieseltriebzug (made in Riga)...



...und eine Taigatrommel aus der damaligen ukrainischen Sowjetrepublik, bekannt auch von der DDR-Reichsbahn.



Leider nicht fotografiert habe ich den hintersten Bahnsteig des Vilniuser Hauptbahnhofes, der mit Stacheldraht umzäunt ist. Hier hält zum Lokwechsel der russische Transitzug, der die Exklave Kaliningrad (Königsberg) mit Weißrussland und "Mütterchen Russland" verbindet. Ein- und Ausstieg ist natürlich verboten. Neben diesem Bahnsteig und damit quasi vor den Zugfenstern der hier haltenden Transitzüge sind Bilder aufgehängt, die die Gräueltaten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zeigen. Bilder also, die die Russen von ihrem Staatsfernsehen sonst wohl nicht gezeigt bekommen.

Überraschend tritt dann noch diese Fuhre auf den Plan, ein richtiger Lok-Wagen-Zug mit einem sechsachsigen Breitspur-Herkules ER20 an der Spitze! Er entpuppt sich als
Bäderzug an die litauische Ostseeküste bei Klaipeda/Memel. Von dort aus könnte man mit der Fähre nach Kiel zurückfahren. Wollen wir aber nicht.



Werbung für die beiden internationalen Verbindungen Litauens nach Lettland und Polen. Beide verkehren alle 24 Stunden...



Die Verbindung von Litauen nach Polen wird im Fahrplan als durchgehender Intercity-Zug ausgewiesen. Das ist natürlich Blödsinn, denn an der Grenze endet die Breitspur und beginnt die Normalspur. Den litauischen Abschnitt legt man in einem Pesa-Triebwagen wie jenem von gestern zurück und steigt dann am litauischen Grenzbahnhof Mockava in einen polnischen Zug um. Die Nutzung dieser Verbindung ist platzkartenpflichtig, für den heutigen Tag am Schalter und online aber ausverkauft. Und ohne Platzkarte gibt es keine Fahrkarte nach Polen. So haben es sich "kluge" Köpfe in den Bahnverwaltungen ausgedacht.

Sollen wir wegen nun einer blödsinnigen Reservierungspflicht mit Flixbus o.ä. nach Polen fahren? Oder auf den nächsten Zug warten (= der in 24 Stunden)?

Nein, jetzt erst recht! Der Intercity nach Polen, so stelle ich beim Spielen am Fahrkartenautomaten fest, läuft von Kaunas bis zum litauischen Grenzbahnhof Mockava unter einer Art "Code-sharing"-Nummer auch noch als inner-litauischer Regionalzug! Also ziehen wir am Automaten erst eineinhalb ganz normale Fahrkarten Vilnius - Kaunas für den dem "Intercity" vorausfahrenden Doppelstockzug. Für den Abschnitt Kaunas - Mockava kaufen wir dann eineinhalb weitere inner-litauische Regionalzug-Fahrkarten. Damit wären wir zumindest schon einmal an der Grenze.
Kaunas, zweitgrößte (?) Stadt Litauens. Hier sind es noch 1.056 Kilometer bis "Berlynas".



Der litauische "Intercity" mit ausfallsicherer Zugzielanzeige fährt ein. Für uns ist er aber ein Regionalzug.



Der Triebzug ist gut besetzt, aber nicht voll. Wir finden sogar noch eine freie Sitzgruppe. Wieso wird er dann als "ausverkauft" gemeldet? Was für ein Blödsinn! Der Schaffner erkennt unsere litauische Binnenfahrkarte nach Mockava anstandslos an und fragt sogar noch, ob wir etwas vom Bord-Service haben möchten. So lassen wir uns eine Art litauischen Flammkuchen, einen kleinen Kuchen und Getränke an den Platz bringen, für das wir zusammen knapp 8 Euro zahlen. Litauen ist jedenfalls deutlich günstiger als die bisher bereisten Länder.

Die litauische Grenzstation Mockava entpuppt sich als ein winziger Bahnhof mitten im Wald mit einem geschlossenen Empfangsgebäude. Unfreiwillig wurde diese Nebenbahn zur einzigen Nabelschnur zwischen dem Baltikum und dem freien Europa: ein paar Kilometer weiter nördlich sitzt Putin (Kaliningrad), ein paar Kilometer weiter Lukaschenko (Weißrussland). Man kann für die drei Länder, die wir in den vergangenen Tagen kennen lernen durften, nur hoffen, dass diese Nabelschnur nicht einmal von einem weniger friedfertigen Despoten abgedrückt wird... Auf dem Nachbargleis steht bereits der polnische Intercity nach Warschau - Krakau. Das ist ein ausgewachsener 8-Wagen-Zug mit Speisewagen und einer Gama-Diesellok. Der also soll ausverkauft sein?
Mockava (sprich: Mos-Kawa): Winziger Grenzbahnhof im Nichts, aber die einzige Verbindung zwischen dem Baltikum und dem freien Europa. Dass ich hier herumlaufe und fotografiere, interessiert niemanden.



Nochmal der Litauer, mit dem wir kamen.



Breitspurige Spiegelung im Normalspurzug.



Ich frage den auf dem Bahnsteig stehenden polnischen Schaffner, ob wir bei ihm eine Fahrkarte nach Suwałki bekommen, dem ersten größeren Ort etwa 50 Kilometer entfernt in Polen. Das sei kein Problem, wir sollen einfach im übernächsten Wagen Platz nehmen. Tatsächlich ist der neben uns stehende und der nächste Wagen gut besetzt. Hierhinein werden offenbar all die Platzkarten für die internationalen, reservierungspflichtigen Fahrkarten gebucht. Die restlichen sechs Wagen sind dagegen fast völlig leer (einzig im Speisewagen herrscht schon Betrieb)! Was für eine absurde Regelung! Achtung, Kunde droht mit Aufrag!
Nach der legalen Unterlaufung schwachsinniger Reservierungspflichten machen wir es uns in diesem "ausverkauften" polnischen Intercity bequem. No comment... Manchmal ist es gut, dem Internet nicht ungefragt alles zu glauben.



Am polnischen Grenzbahnhof Trakiszki sammeln wir etwas Verspätung ein, weil die - hier tatsächlich zusteigende - polnische Grenzpolizei einen südosteuropäisch anmutenden Fahrgast hochnimmt, der nicht die erforderlichen Dokumente mit sich führt. Das passiert direkt in unserem Wagen, sodass wir sogar etwas geboten bekommen! So richtige Kontrollen hat Linus im grenzenlosen Europa ja nie wirklich kennen gelernt.

In Suwałki wird der Zug zur Weiterfahrt nach Warschau und Krakau (Ankunft gegen Mitternacht) von Hundertschaften heimreisender Touristen gestürmt, liegt die Kleinstadt doch reizvoll inmitten einer Seenlandschaft. Wir hingegen steigen aus und treffen auf Landsleute, die wahrscheinlich die Nabelschnur ins Baltikum zu sichern helfen sollen.
Wer hätte gedacht, dass sich die Polen einmal freuen, wenn die deutsche Armee bei ihnen einrollt?



Wir haben nun noch dreieinhalb Tage Zeit, bis wir am Mittwochabend in Warschau bei unserem Nachtzug nach München sein müssen. Diese wollen wir an der polnischen Ostseeküste verbringen, und zwar dort, wo es schöne Strände und schöne Städte gibt; in der Gegend um Danzig. Nachdem wir die Exklave Kaliningrad/Königsberg nun südlich umfahren haben, müssen wir uns dazu nun ein Stück nach Nordwesten vorarbeiten. Die halbwegs direkte Zugverbindung von Suwałki hinüber nach Ełk/Lyck am Rande der masurischen Seenplatte, gibt es seit längerer Zeit nicht mehr. So vertrauen wir uns, um nicht gaaanz untenrum via Białystok fahren zu müssen, einem Überlandbus an. Bis zu dessen Abfahrt gegen 17 Uhr haben wir noch etwas Zeit. Wir stoßen auf dem Weg zum Busbahnhof auf ein Einkaufszentrum, in dem sich u,a, ein Schnellimbiss und ein Eiscafé befinden. Weil die auch am heutigen Sonntag geöffnet haben, hat auch das ganze Einkaufszentrum geöffnet (auch, wenn sonst alles geschlossen hatte). Dann gehen wir zum Busbahnhof weiter und warten auf den Bus. Stadt eines schnöden Überland-Linienbusses fährt wenige Minuten ein aber später ein doppelstöckiger Reisebus nach Warschau vor. Whow! Beim Fahrer kaufen wir Tickets und nehmen Platz.
Logenplatz oben vorne im Setra-Schiff! Für die eineinhalb Stunden durchaus auszuhalten. Offenbar fuhr das Fahrzeug früher einmal als Flixbus.



In Ełk bleibt noch etwas Zeit für einen Stadtbummel. Blick über den Zaun des um diese Zeit schon geschlossenen Eisenbahnmuseums im Schmalspurbahnhof. Hier war ich irgendwann Ende der 1990er Jahre einmal, als die Schmalspurbahn noch planmäßig fuhr.
Zu sehen war aber nur dieser Normalspurdampfer, der aber schön im Abendlicht stand.



Ein Kind der Stadt Lyck, dem heutigen Ełk, ist der deutsche Schriftsteller Siegfried Lenz. Ihm war eine zweisprachige Ausstellung im Stadtzentrum gewidmet.



Masuren - Land der 1.000 Seen! Eine Gegend, die auch einen eigenen Besuch wert wäre. Heute reicht es aber nur zu einem (unglaublich schmackhaften!) Burger, den wir auf einer Bank am Ufer degustieren.



Unser Hostel befindet sich direkt im Empfangsgebäude des Bahnhofes! Blick aus dem Zimmerfenster vor dem Schlafengehen.



Die Schlafstatt direkt im Bahnhof hat den Vorteil, dass wir am nächsten Morgen kurze Wege haben. Das ist auch gut, denn der Intercity Richtung Danzig fährt schon kurz nach 7 Uhr ab. Der wird bis Olsztyn/Allenstein wegen Elektrifizierungsarbeiten an der Hauptbahn über Korsze über die vor einigen Jahren reaktivierte und ausgebaute Nebenbahn via Pisz umgeleitet. Dennoch legt der Gama-Diesel vorne ein beachtliches Tempo vor und tutet sich an den vielen Bahnübergängen seinen Weg frei. Zudem ist er, wie es sich für einen polnischen Fernverkehrszug in der Urlaubssaison nun einmal gehört, bumsvoll und sammelt an einigen Urlaubsorten immer mehr Fahrgäste ein!
Auf zwei Stehplätzen im Gang erreichen wir nach zwei Stunden Olsztyn und beschließen, hier aus dem vollen Zug auszusteigen und erst einmal mit Regionalzügen weiterzufahren. Das dauert zwar länger, aber wir müssen keine zweidreiviertel Stunden stehen. Außerdem haben wir auf diese Weise die Möglichkeit, nach Devotionalien für das vorhin ausgefallene Frühstück zu suchen. Vor lauter Essen verpassen wir allerdings den direkten Regio an die Küste. Doof!
Der nächste Verbindung ist ein Regionalzug bis Iława (Preußisch Eylau) und von dort weiter mit einem Intercity an die Küste.
Ungeplanter Zwischenstopp in Olsztyn/Allenstein. Mutet vom Stadtbild her irgendwie amerikanisch an.



Eher polnisch mutet dagegen die Baustelle des Bahnhof von Olsztyn an, der ein neues Empfangsgebäude erhält.



Doch viele Bahnhöfe in Polen sind wahre Schmuckstücke, alt und neu.
Die Freude an einem Sitzplatz in einem Regionalzug währt nur bis Iława und seiner pompösen Bahnhofshalle. Denn der Schnellzug von hier Richtung Danzig ist trotz seiner 12 Wagen wieder so voll, dass wir im Einstiegsbereich stehen.



Außerdem regnet es kurzzeitig aus aus bzw. auf Kübeln. Dieser Kibel aus dem fernen Niederschlesien ("Dolny sląsk") hat es dabei bis nach Pommern gespült! Vor Erstaunen macht er große Augen.



Die Marienburg. Was für ein Bauwerk! Noch so ein Ziel "wo man mal hinmüsste". Doch wir wollen jetzt ans Meer, nach...



...nein, nicht direkt nach Danzig. Sondern nach Sopot!



Die Dreistadt ("Trojmiasto") an der pommerschen Ostseeküste, liegt am Danziger Haff und umfasst die Städte Gdynia/Gdingen, Sopot/Zoppot und Danzig/Gdańsk. Gdynia ist eine polnische Hafen- und Industriestadt. Nicht wirklich eine Perle. Von hier fährt man vielleicht mit dem Ausflugsschiff über das Haff zur vorgelagerten Halbinsel Hel. Zu Danzig muss man wohl nicht viel erklären. Ansonsten wartet einfach noch ein paar Bilder, dorthin kommen wir auch noch. Dazwischen liegt das Seebad Sopot. Sopot ist so etwas wie das polnische Seebad, vielleicht so wie Westerland oder Binz in Deutschland oder Nizza in Frankreich. Ja, schon etwas "besser" als anderswo, aber an keiner Stelle so hochnäsig wie einige der oben genannten Orte es mitunter sind. Hier wollen wir es an den letzten zwei Tage unserer Ostsee-Rundreise einfach noch einmal schön haben! Und ja, hier ist es wirklich schön! Zumal bei allerfeinstem Kaiserwetter. Außerdem konnte ich kurz vor unserer Ankunft noch zu einem Last-minute-Preis ein kleines Appartement am Boulevard Monte Cassino zwischen Bahnhof und der Seebrücke schießen. Schon beim Eintreten sieht das richtig nach ein paar schönen Tagen am Meer aus.
Unsere letzten Ostsee-Tage brechen an. Da wollen wir es nochmal schön haben. Und so, wie wir hier empfangen werde, wird es auch schön.



Kleiner Rückblick: im Frühjahr war ich mit Julian aus Berlin zwei Tage hier in Sopot und Danzig. Und weil es uns so gut gefallen hat, wurden aus den zwei Tagen kurzerhand vier. Damals nahm ich mir vor, so schnell wie möglich wieder herzukommen - es ist hier einfach schön! Dass das nun so schnell passieren würde, hätte ich damals aber nicht geglaubt. Schön!
Polen eben!

Foto von dieser Frühjahr-Tour.


Auf dem Boulevard bummeln wie hinunter ans Meer. Links die Kunstgalerie, rechts das historische Badehaus, dahinter der Leuchtturm. Und dahinter wartet dann...



...Uuuurlaub!



Der Abend gehört dann alleine der "Freien Stadt Danzig", Gdańsk.
Was die Polen aus dieser kriegszerstörten Stadt geschaffen haben, ist einfach großartig. Das Fluidum dieser lebendigen, wirklich aus ihren Ruinen auferstandenen Stadt am Wasser, ist ein Traum! Eine Stadt mit Charakter und Stolz, in die man eintauchen kann, in der man sich willkommen und wohlfühlt. In der Altstadt, bei der jedes einzelne Gebäude ein Denkmal der Baukunst sein könnte, findet gerade ein Markt mit internationalen Spezialitäten statt. Man flaniert, man genießt, es ist... einfach schön hier! Ich denke an Riga zurück. Eigentlich fehlen jetzt nur noch die Stadtmusikanten...









Den nächsten Tag lassen wir ganz ruhig angehen. Sopot verlassen wir nicht groß, sondern flanieren ein wenig durch das Seebad oder machen am Stand einfach mal... nichts. Nach anstrengenden Stunden am Stand (wir waren auch beide im Wasser!) ruht sich Linus etwas im Zimmer aus.
Ich schaue derweil einmal, was auf der Eisenbahn-Magistrale, die am oberen Ende des Boulevards durch Sopot läuft, so alles vorbeikommt. Zum Beispiel ein Entenschnabel...



...eine S-Bahn mit hässlicher neuer Front...



...eine mit originaler resp. klasssischer Front (und hinten einem Partner im Ursprungs-Lack).






Und noch dies und das und jenes.





Nach den erlebnisreichen letzten Tagen/Wochen wird man uns ein wenig Müßiggang sicher auch nicht übel nehmen. Wir essen am oberen Ende der Promenade, noch jenseits der Gleise, in einer Milchbar ("Bar Mleczny") defig, polnisch, gut "warm". Die gibt es überall in Polen und sind so etwas wie sehr einfache Kiez-Gaststätten. Milchprodukte oder Milchreis etc. gibt es dort zwar nicht mehr, der Name Milchbar blieb aber erhalten. Zu sehr soliden Preisen gibt es dort polnische Hausmannskost wie Bigos, Piroggen oder hier den
polnischen Dreiklang aus Kartoffeln, Fleisch und Rohkost.



Achtung, Schnellzug kreuzt Fußgängerzone!



"Hier hätte ich noch bleiben können" (Linus am Abend vor unserer Abreise in Sopot)



Am nächsten Tag haben wir tatsächlich einmal wieder einen zeitliche Fixpunkt: um 18:59 Uhr soll in Warschau der Nachtzug nach München abfahren. Den Weg, den wir nach Warschau nehmen, ist nicht der direkte mit einem der Entenschnäbel. Mit denen wären wir in gut drei Stunden in der polnischen Kapitale gewesen - im Reihensitz eines vollklimatisierten Großraumwagens. Schnell, aber etwa steril. So besteigen wir gegen 9 Uhr in Sopot einen D-Zug, bestehend aus vier klassischen Abteilwagen hinter einer von den tschechischen Eisenbahnen geliehenen Taucherbrillen-Diesellok. Er wird uns in den nächsten Stunden auf "Bahnen zweiter Ordnung" quer durch das Hinterland nach Süden bringen. Auf einigen Strecken ist er gar der einzige Reisezug am Tag, schafft aber für viele Städtchen eine tägliche Direktverbindung in die große weite Welt. Und: man kann am offenen Fenster des Abteils oder draußen im Gang die Reise genießen! So richtig klassische Eisenbahn!
Zunächst fahren wir auf der Hauptbahn via Danzig zurück nach Malbork/Marienburg und überqueren zuvor noch die Weichsel. An der alten Brücke doktort man jetzt schon Jahrzehnte herum, und richtig fertig sieht das immer noch nicht aus.





Anschließend biegt unser Zug ins Hinterland ab.



Über Grudziądz/Graudenz, wo der Zug Kopf macht und unsere tschechische Taucherbrille den Zug umfahren muss, und Plock, wo auf E-Lok umgespannt wird, erreichen wir den Bahnhof Kutno an der Magistrale Paris - Moskau über Berlin und Warschau.






Ein paar Busse am Streckenrand.





Hier mal wir!

Foto: ein netter älterer Pole. Vorgespräch, als ich ihn um ein Bild bitte: "do you speak english?" "Nein, aber ein bisschen deutsch".


Sierpc



Perfekte Fahrplanarbeit! In Plock (sorich: Plozk) treffen sich Zug und Gegenzug Gdynia - Katowice auf ihren mehrere Hundert Kilometer langen Laufwegen und tauschen während einer etwa 20-minütigen Standzeit ihre Lokomotiven gegeneinander aus.





Nach einem Umstieg in Kutno erreichen wir Warschau, wo wir unsere Rucksäcke wegschließen und dann erst einmal etwas essen. Wenn man aus Danzig oder einer anderen der vielen wunderbaren polnischen Städte kommt, fällt es schwer, Warschau schön zu finden. Die Hauptstadt ist laut, hektisch und hat eine Altstadt, die für diese Metropole irgendwie viel zu klein ist. Aber einen Nachmittag wollen wir hier schon verweilen.
Weitweitweitwinkel mit Sonnenspot auf den Kulturpalast im stalinistischen Zuckerbäckerstil.



Wir bewaffnen uns mit zwei Straßenbahnfahrkarten und fahren zur Stare miasto/Altstadt hinaus.
Während sonst viele Niederflurfahrzeuge zu sehen sind, wird unsere Linie mit diesen Tatra-Verschnitten (Konstal?) bedient.



Der plac Zamkowy, die gute Stube der Stadt. Hier, hoch über dem Weichselufer, ist es dann aber doch sehr nett.



Am Rynek/Marktplatz kauft sich Linus doch einen Andenkenmagneten von Warschau. Eigentlich wollte er das nur von Städten machen, in denen er "richtig" und nicht nur für ein paar Stunden gewesen ist, etwa Tallinn oder Sopot. Aber da ihm der Warschau-Magnet so gut gefiel, hat er nach langem Überlegen doch zugegriffen.
Magnet-Kauf. Ihr werdet ihn nachher noch sehen.



Dann geht es auf zur letzten Etappe! Im unübersichtlichen unterirdischen Warschauer Central-Bahnhof gibt es keine Wagenstandsanzeiger, sodass nach dem Halt des 12-Wagen-Zuges mit Wagengruppen nach Budapest, Prag und München erst einmal das große Gerenne beginnt. Dann beziehen wir unser Schlafwagenabteil, welches für die nächsten 1.200 Kilometer (über Krakau, Auschwitz, Ostrava, Wien und Salzburg) unser rollendes Zuhause sein wird. Aus irgendwelchen Gründen war die Buchung eines 3-er-Abteils billiger als ein 2-er-Abteil. Also habe ich den Dreier gebucht und das dritte Bett eben verfallen lassen. Bahn-Tarife, eines der ungelösten Mysterien der Neuzeit...

Mit zuvor eingekauften Lebensmitteln essen wir zu Abend, während wir über die CMK, die zentrale polnische Eisenbahnmagistrale, nach Süden brausen. Anschließend genießen wir einfach den kleinen Luxus einer Schlafwagenfahrt. Irgendwie ist das unangefochten die schönste Art, auf langen Strecken zu reisen! Und auf dieser wirklich langen Strecke kann man es auch richtig genießen (und muss nicht schon um 6 Uhr wieder aussteigen).
Die schönste Form des Eisenbahn-Fahrens! Fahrt im Euro-Night/IC "Chopin" in unseren letzten Sonnenuntergang der Reise.



Schlafend durch vier Länder.



Kleines Frühstück im Abteil



Das Wunderbare am Nachtzug-Fahren sind die völlig veränderten Kulissen vor dem Fenster beim Aufwachen!
Guten Morgen, Bayern! "Berge" sind einmal eine völlig neue Erfahrung auf dieser Reise
(bei Traunstein).



Unser Wagen nach der Ankunft in München Hbf, leider nur am Katzentisch im Holzkirchner Flügelbahnhof.



Viele Tausend Kilometer sind wir nun durch Nordeuropa gefahren. Verspätete oder ausgefallene Züge gab es genau zwei Mal auf dieser Reise: einmal ganz zu Anfang, der Zug von Böblingen nach Stuttgart. Und zur Begrüßung zurück in Deutschland, jetzt in München: der vorgesehene ICE ist kurzerhand 30 min zu früh abgefahren. Beides waren Züge der Deutschen Bahn AG... Aber ganz ehrlich: das ist Gejammer auf hohem Niveau. Wer 24-Stunden-Takte oder die Umgehung blödsinniger Platzkartenpflichten überstanden hat, der kommt auch irgendwie von München nach Stuttgart. Und am Ende rollen wir auf die Minute pünktlich um 14:38 Uhr und glücklich über unsere Reise um die Ostsee dort ein, wo das allererste Bild entstanden ist!
Sammlung von Linus´ Magneten von unserer Fahrt.



Und noch etwas haben wir von der Reise mitgenommen: wir müssen nicht mehr überlegen, welches der drei baltischen Länder auf der Karte welches ist und könne sogar die Hauptstädte sofort zuordnen! Reisen bildet eben doch.



Epilog:
ich bin in meinem Leben viel mit der Eisenbahn gereist, in Deutschland und auf anderen Kontinenten. Mal kurz zum Nachmittagsausflug auf die Schönbuchbahn oder nach Moskau, Athen und Montenegro. Oder jetzt ins Baltikum. War mit der Familie, guten Freuden oder Partnerinnen unterwegs. Aber auf dieser Fahrt war das irgendwie anders. Es erfüllte mich schon ein wenig mit Stolz, dass der, der da in diesen zwei Wochen mit seinem Rucksack vor mir selbstsicher und neugierig durch fremde Städte, Züge und Landschaften lief, nicht "nur" ein Kumpel gewesen ist, sondern der eigene Sohn!
Lieber Linus, danke, dass du diese wunderbare Reise mit mir gemacht hast! Ich freue mich schon auf unsere jährliche Sylt-Fahrt im Herbst! Kutno (Polen), 07. August 2024.

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