Dzień dobry!
Resturlaub, Überstunden und eine 4-Tage-Woche, aus der sich mit vier Arbeitstagen neun freie Tage zaubern lassen - eine gute Mischung für einen Kurzurlaub in... ja, wo denn eigentlich? Ein Telefonat mit Julian, der seine Reisegedanken ebenfalls schon einmal Richtung Nahost ausgestreckt hat, ließen die Wahl dann auf unser östliches Nachbarland fallen.
Die Reise sollte keine reine Pufferküsser-Veranstaltung werden. Auch stand neben der Eisenbahn vor allem das Erleben von Land und Leuten im Vordergrund, aber jedenfalls nicht das Hinterherjagen von Zügen, um diese dann zu fotografieren. Die geplante (dann aber am Ende kurzfristig vor Ort doch noch umgeworfene) Route orientierte sich zwar an Bahn-Hotspots, konkret: einigen der urigen polnischen Schmalspurbahnen. Drumherum blieb aber noch eine Menge Raum für Erlebnis, Erholung und ein wenig Kultur. Gereist wurde mit dem Zug, mit Bussen und zwei Mal mit Schiffen.
Die erste Etappe reise ich mit meiner im März 2024 abgelaufenen Bahncard 100 nach Berlin. Ein Schriftwechsel mit der DB AG ergab, dass die durch den Weselsky-Streik im Januar 2024 entfallenen Nutzungstage nachgeholt werden dürfen. Ein fairer Deal! So gelange ich am Freitag recht günstig in die Hauptstadt unserer Deutschen Demokratischen Bundesrepublik. Im Schatten von Einigkeit und Recht auf Freizeit lasse ich den milden Frühjahrsabend ausklingen.

Im Mehdornium oberer Bahnhof kommt auf dem entstehenden Rasengleis gerade der Holländer vorbei. Anschließend fahre ich mit der S-Bahn zur Unterkunft. Daarop een borreltje!

Der nächste Vormittag beginnt in einem Euro-City des Berlin-Warszawa-Express (BWE). Der fährt auf der Strecke von Berlin nach... logisch! Die Reservierungspflicht ignoriere ich im Angesicht eines freien 6-er-Abteils einfach einmal, bevor ich jenseits von Frankfurt den ersten Tag Interrail eintrage und hinter der Oder-Neiße-Friedensgrenze...

...zum Frühstück in den Speisewagen wechsele.
Es gibt "Snidanie polskie", also "polnisches Frühstück": Ei, Gemüse und reichlich Brot, dazu ein Heißgetränk.
Das kostet mich absolut faire 8 Euro.
Der Name passt insofern, alsdass in Polen zum Frühstück wirklich eher herzhaft als süß gegessen wird.

Die Route der kommenden Tage durch Polen:

Mein rollendes Restaurant von eben von außen.

Zbąszynek ist ein winziger Ort irgendwo im Nirgendwo des landschaftlich unglaublich langweiligen polnischen Mittellandes. Es sieht da hinter Frankfurt genauso aus wie vor der weißrussischen Grenze. Einst war hier die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Polen, und da hieß der Ort auch noch Neu Bentschen. O.k., die Grenze D/PL verläuft nun seit einigen Jahren ein paar Kilometer weiter westlich. Da sich genau hier Strecken in fünf Richtungen treffen, hält auch der internationale Schnellzug des BWE in diesem Nest.
In Zbąszynek steigt man somit auch nicht aus, sondern nur um. Zum Beispiel in diese umgekippte Badewanne in südliche Richtung.

Eine Unsitte sind in Polen diese regionalen Bahngesellschaften der Wojewodschaften,
von denen die meisten Interrail & Co. nicht anerkennen. Die Großpolnische Eisenbahn gehört auch dazu.
So muss ich in der Badewanne nachlösen.
Mein Ziel heißt Wolsztyn, ehedem Wollstein. Ein polnisches Kleinstädtchen, wie es es zu Hunderten im Land gibt: geordnetes Chaos auf den Straßen und Fußwegen, kleine Geschäfte entlang der Straßen und mittendrin ein mit EU-Mitteln herausgeputzter Rynek, also der Marktplatz. Im gewissen Maße austauschbar, aber trotzdem ganz nett.

Was Wolstyn von so ziemlich allen anderen Städten Europas unterscheidet, ist nicht nur auf den Mülltonne, sondern bisweilen auch am Bahnhof zu erkennen. Beim Weg aus dem Empfangsgebäude zu den Gleisen kann es nämlich sein, dass man dort nicht auf einen der allgegenwärtigen Einweg-Triebwagen aus den Häusern Pesa, Newag & Co. zuläuft, sondern auf...

Anno 2024 ist es das Mittagszugpaar Wolstyn - Zbąszynek und zurück, das montags bis freitags mit Dampflokomotiven bespannt wird.
Das war auch der Grund, hier einen Abstecher in die Pampa einzulegen. Die nächste Dreiviertelstunde geht es also in einem planmäßigen Personenzug hinter einer Pt47 durch ebendiese Pampa. Die zwei Wagen strengen den Wurstkessel leider nicht sonderlich an, auch fordernde Steigungen gibt es im Streckenverlauf nicht. Schwer arbeitende Dampflokomotiven im Grenzlastbereich darf man hier also nicht erwarten, aber Geräusche und der Geruch lassen sich dennoch inhalieren. Schön, dass es so etwas gibt! Doof, dass diese Fahrten nur mitten am Tag unter der Woche stattfinden. Hach, da ist es wieder, das Land der begrenzten Unmöglichkeiten, das ich so liebe! Hier nach der Ankunft in Zbąszynek.

In der ganzen Woche Bahnfahren in Polen erlebte ich in diesem Moment den einzigen verspäteten Zug, und der kam aus Deutschland! Na sowas! Soll mir nur Recht sein, denn dadurch erreiche ich in Zbąszynek außerplanmäßig noch den EC "Gedania" Berlin - Posen - Danzig - Gdynia. Der ist zwar auch wieder reservierungspflichtig, aber egal. Zudem lassen sich in Zbąszynek auch keine Platzkarten kaufen.
Bei der Einfahrt treffen sich mehrere Generationen Eisenbahn.

Unsere Verspätung - Ihr Vorteil! Danke, Deutsche Bahn!
Durch die Fahrt in dem verspäteten EC erreiche ich auch in Posen einen früheren Anschlusszug, mache den Theo und
fahre nach Lodsch, polnisch Łódź (nur echt mit den drei Sonder-Buchstaben), ausgesprochen Wuutsch
(das "W" wie im englischen "woder").
Blick nach Łódź downtown.

Nach dem Stadtbummel stelle ich fest, das Łódź insgesamt irgendwie ziemlich gesichtslos ist. Nee, die Stadt und ich werden erst einmal keine Freunde.
Auch wenn jetzt sicher jemand sagt "es gibt da aber auch schöne Ecken". Aber ich will ja nicht in eine Ecke. Außerdem fängt es an zu nieseln. Ich ziehe mich auf mein Zimmer eines proletarisch-vereinigten Hotels zurück, das noch seine realsozialistische Vergangenheit atmet. Wieso man mich trotz offenbar ausreichend freier Zimmer ausgerechnet auf dem Flur einquartiert, auf dem auch eine Schülergruppe residiert... Hach, da ist es wieder, das Land der begrenzten Unmöglichkeiten, das ich so liebe!

Ich mache in meiner Langeweile etwas, was ich sonst eher nicht mache, nämlich die Gruselröhre einschalten.
Im TV gibt es mehr polnische Sender als Łódź Einwohner hat, aber eben nur polnische.
Auf einem läuft "Łer łyrt Myllyoner?". Für den Sender ist das eine recht preiswerte Veranstaltung,
denn 1 Mio Złoty sind nur knapp 1/4 von 1 Mio Euro.

Nachdem ich gestern am Bahnhof Łódź Kaliska westlich des Zentrums angekommen bin,
muss ich am folgenden Morgen den Bahnhof Łódź Fabryczna am östlichen Zentrumsrand ansteuern.
Die moderne, aber fast menschenleere Halle erinnert eher an ein steuerfressendes Freizeitbad als an einen Bahnhof.
Da auch die hiesige Regionalbahn keine Interrail-Karten anerkennt, lohnt sich für den Rest des Tages kein Interrail-Tag. Ich kaufe mir also eine handelsübliche Fahrkarte am Schalter. Der Hersteller der Info-Displays scheint der gleiche zu sein wie bei der DB.

Łódź 21 im Keller der Schwimmhalle. Schweizer und polnische Nahverkehrstriebzüge buhlen blinzelnd um Reisende.

Mein Ziel liegt eine gute Zugstunde außerhalb vom Łódź. Es heißt Rogów. Das muss man nicht kennen.
Hier beginnt eine fast 50 km lange, 750-mm-spurige Schmalspurbahn ins Nichts,
die nach der Einstellung des "normalen" Zugverkehrs heute auf Teilabschnitten im Ausflugsverkehr befahren wird.
Von Rógow fahren Züge im Frühjahr dienstags (!) ins 8 km entfernte... weiß nicht mehr. Ist auch egal. Das ganze nennt sich "billiger Dienstag" und richtet sich an Kinder- und Schulgruppen. Im Vorfeld habe ich mich bei der Bahnverwaltung schlau gemacht, ob ich dienstags auch als Eizelreisender mitgenommen werde. Nur einen Tag später die Antwort: Ja, kein Problem, ich solle einfach kommen. Hier die noch Zug-lose Station "Rogów Personen-Schmalspurbahnhof" vis-á-vis zu den Normalspurgleisen (hinter dem Wasserturm).

Der Betriebsmittelpunkt liegt einige Hundert Meter weiter und heißt "Rogów Güter-Schmalspurbahnhof". Dorthin laufe ich zu Fuß. Im Schatten teutonischer Signaltechnik macht sich gerade der Zug abmarschbereit.

Anschließend wird die ganze Fuhre rückwärts in den Personen-Schmalspurbahnhof zurück gedrückt. Mit meiner Kamera verfolge ich den Zug zu Fuß. Der Engländer spricht daher auch von "to catch a train".

Dann geht es los durch das polnische Nichts zwischen Neiße und Bug. Die Landschaft ist ungefähr so aufregend wie die Bedienungsanleitung für einen Handstaubsauger. Dennoch strahlt die Bahn, wie sie sich schaukelnd und mächtig rußend ihren Weg durch die Felder bahnt, eine wunderbare Ursprünglichkeit aus.

Tatsächlich wird der "Billige Dienstag" zum Zwecke seines Daseins genutzt und der Zug
von einer Grundschulklasse bevölkert.
Paveł, Krzysztof und Martyna freuen sich jedes Mal und winken fröhlich, wenn der Fotograf vorne seinen Kopf aus dem offenen Wagen streckt.

In... weiß nicht mehr, ist die Fahrt zuende. Die Lok läuft in den Weiten der Landschaft um.
Irgendwo hier muss vor ziemlich genau 50 Jahren das Theo-Lied entstanden sein, zumindest die Textzeilen:
"Gottverdammtes Nest - gibt mir den Rest / Gottverlass´nes Dorf - nur Heu und Torf".

Für die Kinder wird nun das gemacht, was bei Ausflugsfahrten auf polnischen Schmalspurbahnen gerne angeboten wird:
an einem Lagerfeuer kann man sich mitgebrachtes Fleisch grillen oder Brot rösten.
Ich glaube, wenn hier draußen aus Versehen ein Kind mitgeröstet wird, würde das niemand mitbekommen.

Irgenwann ist das Grillfest zuende. Das Personal fragt, ob es in Ordnung wäre, wenn wir schon 10 min vor der planmäßigen Abfahrtszeit nach Rogów zurück fahren. Also, das soll mir nur Recht sein. Denn hier ist nun wirklich nüscht.

Ein letzter Blick auf den Rogówer Personen-Schmalspurbahnhof.

Ein Interregio, der sich als ein aufgemotzter "Kibel"-Nahverkehrstriebwagen mit ein paar weniger Halten als der Bummelzug entpuppt, bringt mich in etwa einstündiger Fahrt in die Zivilisation zurück.
Die Endstation des Zuges ist der wiederauferstandene Warschauer "Hauptbahnhof", den wir links im Bild sehen.
Dieser ziemlich alberne Bahnhof mit seinen fünf Stumpfgleisen und einem viel zu großen Namen wird aber nur von wenigen
Zügen genutzt und liegt auch ein gutes Stück außerhalb des eigentlichen Zentrums.
Der große Verkehr, der vom Ost- oder Centralbahnhof Warschaus kommt,
fährt unten rechts an diesem seltsamen "Hauptbahnhof" vorüber.
Mit dem Flirt 1 der Masowischen Eisenbahn begrüßt mich ein bekanntes
(und wie ich auch nach fast 20 Jahren noch finde: wohlgelungenes) Gesicht.

Gleich dahinter verlässt ein Intercity die hauptstädtischen Häuserschluchten, während im "Hauptbahnhof" relative Leere herrscht.

Noch mal die Koleje Mazowieckie (sproch: Koleje Masowjezkije), also die masowische Eisenbahn, mit einem auch aus Deutschland bekannten Typ Zug aus dem Hause Bombardier. Nur der erste Doppelstockwagen sieht irgendwie seltsam aus. Vielleicht eine polnische Raubkopie?

Unmittelbar parallel an den ominösen Hauptbahnhof schließt sich das nationale Eisenbahnmuseum an. Das hat man in den vergangenen Jahren ein wenig auf Vordermann gebracht. Neben den Ausstellungsräumen findet man auf dem Freigelände interessante Exponate, so zum Beispiel eine stromlinienverkleidete 03 aus Zeiten der Deutschen Vorkriegs-Reichsbahn (hinten die Brücke, von der die vorangegangenen Fotos entstanden)...

...oder so etwas hier. Eine War-Schau. Ey, make war, not peace! Nicht, dass da noch jemand nach Polen einmarschiert.

Dann begebe ich mich, bewaffnet mit einem Deutschland-Ticket für Warschau,
für den Rest des Tages nach in die Hauptstadt hinein.
So richtig zu überzeugen vermag mich die Stadt, im Gegensatz zu vielen anderen polnischen Großstädten, aber nicht. Nicht, weil sie sehr modern daherkommt. Das kann ja auch reizvoll sein. Aber sie wirkt auf mich irgendwie hektisch, unkoordiniert, nicht so wirklich sympathisch. Irgendwie... neee! Da doch lieber Breslau oder Danzig. Aber das kommt ja noch.

Der (ohne Antenne) fast 200 m hohe Kulturpalast im stalinischen Zuckerbäckerstil, wie man es aus Russland kennt. Sicher das bekannteste Gebäude der Stadt. Vorne sortieren sich die Beatles (poln.: Bytlz) 2.0 auf dem Zebrastreifen der uł Abbey.

Nach dem trüben Vormittag in Rogów wird es zum Nachmittag hin richtig schön! Richtig schön ist es auch am Weichselufer, wo ich vor der Kulisse des Zentralstadions einfach mal nichts mache, Züge und Pol*Innen gucke und die Sonne genieße.

Anschließend fahre ich mit der Metro ins Uni-Viertel. Die Hoffnung, hier zu moderaten Preisen etwas zu Essen zu finden, wird tatsächlich erfüllt: In einer polnischen Speisegaststätte degustiere ich gemischte Piroggen (in jeder Pirogge ist eine andere Füllung), dazu eine unsagbar knoblauchige Soße.

Gesättigt und sicher übel nach Knoblauch müffelnd lasse ich den Abend mit einem Haufen anderer Touris in der (recht überschaubaren und im Vergleich mit anderen polnischen Städten auch nicht sooo aufregenden) Altstadt ausklingen.

Stabse (PL). Konstal oder so. Kein Tatra, auch wenn´s so aussieht. Schon wieder eine Raubkopie?

Gegen 22 Uhr begebe ich mich zum Ostbahnhof, eine architektonische Errungenschaft des Sozialismus.

Oben auf den Gleisen treffe ich auf einen Deutschen. Dieser Triebzug der Baureihe 614 fuhr einst im Regionalverkehr in Braunschweig oder Nürnberg. Nun ist er im Alter von 50 Jahren unter privater Flagge als D-Zug bis in die Ukraine (Rawa Russka) unterwegs!

Sodann besteige ich den Nachtzug "Uznam" in den nordwestlichsten Zipfel Polens,
nach Swinemünde gegenüber der Insel Usedom.
Mein Schlafwagenabteil teile ich mit einem älteren Polen wie aus dem Bilderbuch: Schnauzbart, runder Kopf und kein Wort englisch. Außerdem fängt er schon kurz hinter Warschau mächtig an zu schnarchen (auf polnisch). Der Nachtzug-Profi hat aber immer Ohropax am Mann, insofern ärgert er mich damit nicht. Als kleine Rache nebele ich ihn mit meinen Knoblauchdämpfen ein. Irgendwann nachts passieren wir auch Zbąszynek.
Hier ein Blick in ein anderes Abteil, in das ich am nächsten Morgen in Szczecin/Stettin zum Frühstücken umziehe.

Ich verlasse den Zug in Goleniów. Dort komme ich in die Rush-hour der Pendler nach Stettin.
Die etwas ungünstig angelegte, weil mit langen Wegen verbundene Zuwegung zum Mittelbahnsteig wird in landestypischer Manier abgekürzt. Unsere deutschen Hilfssheriffs hätten da sicher längst Schnappatmung bekommen.

Ein hypermoderner Hybrid-Triebfix bingt mich auf der eingleisigen Strecke Richtung Kołobrzeg/Kolberg bis Gryfice.
Von dort zweigt eine weitere Schmalspurbahn, diese auf Meterspur, Richtung Ostseeküste ab.
Dort, parallel zur Küste bei Rewal, pendelt die "Nadmorska"-Schmalspurbahn
im Sommer täglich auf grundsanierter Infrastruktur - sogar Stationsgebäude wurden neu gebaut! -
tagsüber zwischen den Badeorten hin und her.
Interessanter ist dagegen die Fahrt morgens vom Betriebswerk Gryfice zur Küste hinauf und abends wieder zurück.
Diese etwa 20 Kilometer lange Zuführungsstrecke ist unsaniert und strahlt das Fluidum polnischer Schmalspur-Idylle aus.
Das habe ich schon ein paar Mal gemacht, und es ist in den offenen (wenngleich, zugegeben, nicht so ganz originalen)
Wagen jedes Mal wieder schön.
Als ich gegen 8 Uhr in Gryfice ankomme, wird der kleine Zug gerade zusammen gestellt.

Der weiterführende Gleisrest im Vordergrund mag daran erinnern, dass das Netz der Greif(f)enberger und Stargarder Meterspurbahnen einst über mehrere Hundert Kilometer lang gewesen ist.

Unterwegs...

...auf Schienen unter Gras durch Hinterpommern.
Die totale Entschleunigung, keine 50 km von der deutschen Grenze entfernt. Für Genussreisen braucht es nicht viel Geld und keinen "Orient-Express". Zugfahren kann so schön sein!

In Trzęsacz, dem ersten Ort an der Küste, verlasse ich den Zug. Die faule Schaffeuse hat es in den letzten eineinviertel Stunden nicht für nötig gehalten, mich abzukassieren und hockte (oder schlief?) lieber in ihrem Dienstabteil. Meinetwegen... Also, danke für die Fahrt! Ich belohne mich selbst erst einmal mit dem ersten Blick aufs Meer. Ach, schön!

Am Vormittag, während der Schmalspurzug seinen Pendelverkehr zwischen den Küstenorten aufgenommen hat, fahre ich mit dem Linienbus nach Gryfice zurück. Dort stellt sich PKS Gryfice zur Fahrzeugparade altgedienter Westwagen auf. Merke: ein Setra überdauert mehrere Solaris-Generationen!

Bis zur Abfahrt des Zuges ist noch eine Stunde Zeit, die ich im Stadtpark totschlage.
Wie neben der Sitzbank zu sehen ist, rollen hier hier kleine Reinigungs-Roboter durch den Park.
Sie rollen auch hinter Hundebesitzern her und geben diesen einen Elektroschock,
wenn sie die Hinterlassenschaften ihres Wauzis nicht sofort einsammeln.

Greif(f)enberg Hauptbahnhof. Einer der Hybridzüge rollt ein.
Hier in Westpommern führt glücklicherweise die Staatsbahntochter Polregio den Nahverkehr durch. So gilt auch mein Interrail-Ticket hier. Ich habe mir für die letzte Nacht eine Fahrkarte von Warschau bis Koło gekauft. Dort überquerte der Nachtzug die Null-Uhr-Grenze, und ab dort begann dann der Interrail-Tag. Mit dem fahre ich jetzt weiter.

Wir machen einen großen Sprung nach Osten. Über Kołobrzeg, Koszalin, den Umstieg in einen - womöglich wieder reservierungspflichtigen, wer weiß das schon? - Intercity und eine sich im Totalumbau befindliche Bahnstrecke Stettin - Danzig erreiche ich am späten Nachmittag einen der schönsten Orte Polens, nämlich das Seebad Sopot/Zoppot.
Ich beziehe eine kleine Ferienwohnung unmittelbar an der Promenade,
die vom Bahnhof ans Meer hinunterführt. Dann geht es, vorbei am Leuchtturm...

...zum Strand! Ach, ist das schön! Endlich Urlaub!

Abends um kurz nach 23 Uhr kündigt sich Julian an. Ich hole ihm vom kleinen, aber wunderbar sanierten Bahnhof ab. Zwischendurch wird noch ein "Kibel" auf der S-Bahn fotografisch verhaftet. Wer denkt bei dem Gesicht dieses Zuges nicht an die alten Berliner S-Bahnen? Julian hat noch bis mittags in Berlin gearbeitet und dann todesmutig die letzte Verbindung des Tages an die Küste genutzt. Auch sein Zug hat auf den 80 Kilometern in Deutschland mächtig Verspätung zugesetzt, sodass sogar die einstündige Umsteigezeit in Posen schon kritisch wurde... Aber es hat geklappt!
Natürlich laufen wir noch einmal ans Meer hinunter und auf die Mole hinaus, das muss einfach sein!

Die Küste vor der Dreistadt (Trójmiasto ) Gdynia/Sopot/Gdańsk führt noch nicht direkt auf das offene Meer: Hier sowie weiter in Richtung Baltikum liegen schmale Landzungen ("Nehrungen"), die dem Festland vorgelagert sind, parallel zum eigentlichen Küstenstreifen und bilden dazwischen ein Haff. Vor der Dreistadt ist dies die Halbinsel Hel. Dorthin möchten wir heute fahren. Und der kürzeste - wenngleich mit zusammen 40 Euro nicht unbedingt preiswerteste - Weg dorthin führt nun einmal über das Danziger Haff.
Das Schiff fährt vom Hafen Gdynia, neben Danzig und Sopot die hässliche dritte Schwester der Dreistadt, hinüber nach Hel.
In Gdynia/Gdingen treffen wir auf das Segelschulschiff "Dar Pomorza" ("Gabe Pommerns"),
quasi die polnische "Gorch Fock". Ob deren letzte Werftliegezeit wohl auch 135.000.000 Euro gekostet hat?

Noch ist Polen nicht verloren! Hoffentlich gehen wir nicht unter.

Da müssen wir dorsch! Einen solchen Außenbordskameraden gibt es, nett angerichtet, drüben bei der Ankunft im Inselort Hel.
Foto: die nette Bedienung des Restauracja "Porto".

Dann wandern wir ganz raus, an die Spitze der Nehrung. Nahezu menschenleere Stände, leichter Wind, dazu der feinsandige, beim Darüberlaufen singende Sand der polnischen Ostseeküste... Wer denkt da noch an so etwas Stupides wie "Eisenbahn-Fotografieren"?

Davon, dass die Nehrung als Vorposten vor den Hafenstädten auch von militärstrategischem Interesse war, zeugen überall Bunker-Ruinen oder der Panzer-Lehrpfad durch die Dünen.

Zurück fahren wir nicht mit dem überteuerten Schiff,
sondern mit der Eisenbahn. Die führt über die gesamte Nehrung bis vorne in die Spitze bei Hel.
Die Nachtschnellzüge, die im Sommer Urlauber aus ganz Polen hier abkippen, fahren Mitte Mai noch nicht.
Dem dennoch schon erkennbarem Fahrgastaufkommen begegnet man in Polen mit einem bei uns undenkbarem Pragmatismus: hinten an den Triebfix wird einfach ein altgedienter und sicher längst abgeschriebener Reisezugwagen angehängt!

Zugiger Blick auf´s Haff. Die Nehrung ist hier zum Teil keine 200 Meter breit. In der Ferne ist das eigentliche Festland zu erkennen.

Kurz vor Sopot setzten wir noch einmal kurz aus und lichten den entgegen kommenden Hecken-D-Zug
"Flisak" Katowice - Kutno - Graudenz - Malbork - Danzig - Gdynia ab,
der auf Nebenbahnen mitten durchs Hinterland an die Küste fährt.
Der Tscheche leistet Lokhilfe, passend zum Fahrtziel Ostsee mit einer Taucherbrille.

Abends geht es noch einmal auf die Seebrücke. Westerland? Nizza?... Nein, Polen! Lässt sich aushalten hier.

Eigentlich wollten wir am nächsten Tag mit dem gestern Abend abgelichteten "Flisak"
in Richtung Niederschlesien fahren und noch ein paar Tage im Riesengebirge verbringen.
Aber... nachdem es hier am Meer sooo schön ist, canceln wir den Plan einfach und bleiben kurzerhand noch im Norden.
Das Quartier in Sopot müssen wir allerdings räumen.
So steht Julian am folgenden Morgen auf dem S-Bahnsteig Sopot und schaut sich eigenartige Züge an, die auf den Ferngleisen die viergleisige Magistrale durch die Trójmiasto befahren. Diesen hier werden wir später aber noch besser kennen lernen.

Mit einem der Berliner S-Bahn-Verschnitte fahren wir nach Danzig und passen gut auf, nicht in den Spalt zwischen Zug und Bahnsteig zu fallen. Es heißt, dass darin schon ganze Familien für immer verschwunden sind.

Ganz so schön wie gestern ist es heute wettermäßig leider nicht. So wird Danzig erst einmal nur in einer Art Schnellwaschgang durchstreift. Blick über dem Marktplatz zum Danziger Rathaus.

Nach dem Mittagessen fahren wir mit der Straßenbahn - in Ermangelung einer Fahrkartenkauf-Möglichkeit schwarz -
zum Stogi-Strand hinaus. Leider fängt es nun auch an zu regnen.
Die Polen stellen ihre Fahrradbügel mitten auf den Strand, auf dass der Sand auch richtig schön in das Tretlager eindringe! Hach, da ist es wieder, das Land der begrenzten Unmöglichkeiten, das ich so liebe!

Die polnische Geschichte ist gerade hier im Norden immer auch deutsche Geschichte. Nein, moralinsaure Abhandlungen über Adolf H. & Konsorten wollen wir uns heute nicht vorhalten lassen. Das gab es zu Schulzeiten schon in mehr als homöpathisch verträglichen Dosen. Aber dorthin, wo das begann, was schlussendlich auch Danzig zu Gdańsk werden ließ, möchten wir doch wenigstens einmal fahren. Ein Schnellbus fährt von Hauptbahnhof durch endlose Hafengegenden zum geschichtsträchtigen Ort.

Dort, wo ein Schuss des deutschen Kriegsschiffes "Schleswig-Holstein" auf die polnische Halbinsel Westerplatte vor 85 Jahren den Beginn den 2. Weltkrieges markierte, befindet sich heute eine Gedenkstätte mit Monument. Im Hintergrund sieht man gerade den Flüssiggastanker "Robert Habeck" auslaufen.

Der Abend gehört dann alleine der "Freien Stadt Danzig", Gdańsk.
Was die Polen aus dieser kriegszerstörten Stadt geschaffen haben, ist einfach großartig.
Das Fluidum dieser lebendigen, wirklich aus ihren Ruinen auferstandenen Stadt am Wasser, ist ein Traum!
Eine Stadt mit Charakter und Stolz, in die man eintauchen kann, in der man sich willkommen und wohlfühlt.
Und dennoch... bei dem Blick auf diese so vertrauten Kulissen mit Backsteingotik und kopfsteingepflasterten Gassen,
wie sie auch in Lübeck nicht schöner zu sehen wären, drängt sich doch immer wieder der etwas wehmütige Gedanke in den Kopf:
Warum?


Zufrieden und mit den erfüllenden Gedanken, hier so bald wie möglich wieder einmal hinfahren zu wollen, beenden wir den Tag.
Wie schon vorgestern verlassen wir am Folgetag die Dreistadt auf dem Wasserwege.
Dieses Mal ist es aber nur eine ziemlich urige Fähre, die uns von einer ländlichen Bushaltestelle ganz im Osten von Danzig über die Weichsel kurz vor ihrer Mündung in die Ostsee bringt. Dafür ist sie auch längst nicht so teuer wie das Schiff nach Hel neulich.

Die Fähre besteht aus einem offenen Ponton mit Auffahrrampen, an dem längsseits ein kle(i)ner Motorkahn festmacht und den Ponton über die Weichsel zieht (kleines Bild). Nicht weniger als vier Mann Personal sind auf dem "Schiff" beschäftigt. Am anderen Ufer dreht der am Vordersteven mit dem Ponton vertäute Kahn über den Bug um 180 Grad (großes Bild), und es geht zurück.

Einige Hundert Meter stoßen wir auf den Anlass unseres Ausfluges hierhin: Die einst mittels Trajekt bis nach Danzig hinein fahrende
[url=https://kolejzulawska.pl/rozklad-jazdy-wiosna-2024/][u]750-mm-Schmalspurbahn im Weichselwerder[/u][/url]. Hinter dem Zug sieht man den Weichsel-Deich. Auf einer gut einstündigen Fahrt geht es von hier im Hinterland der Küste bis Sztutowo, dem vormaligen Stutthof. Der Abzweig hinunter nach Nowy Dwór Gdański ist derzeit nicht befahrbar. Der botanisch nicht uninteressante Startbahnhof, auf dem wir im hohen Gras gerade unseren Zug suchen, heißt "Rechtes Weichselufer". Sehr einfallsreich, wirklich!

So sieht es der Fahrgast.

So sieht es der Lokführer.

So sieht es der Fuzzy: Die Sonne kommt raus ->Fotohaaalt! Dank an den netten Schaffner!

Von Stuttgart nach Stutthof. Wie schon geschrieben:
Die polnische Geschichte ist gerade hier im Norden immer auch deutsche Geschichte.
Nahe des Endbahnhofes befand sich das heute zu einer Gedenkstätte hergerichtete Konzentrationslager Stutthof. Der über ein Gleisdreieck gewendete, zurückkehrende Zug wird hier einmal abgelichtet, bevor wir uns in...

... dieser Konditorei im Baustil "Spätes Bromberg" mit Kuchen und Getränken von der anstrengenden Reise erholen. Danach wiegen wir mehr als 7 Tonnen und dürfen nicht mehr über die Straße gehen.

Auf der Rückfahrt nach Danzig nehmen wie den direkten Linienbus. Der überquert die Weichsel etwas weiter stromaufwärts sicherheitshalber auf einer Brücke. Unterwegs kommt uns der Zug entgegen.

Spontan verlassen wir den Bus bereits vor dem Danziger Zentrum am Rande eines Wohngebietes.
Dort haben wir gestern eine Milchbar ("Bar Mleczny") entdeckt.
Die gibt es überall in Polen und sind so etwas wie sehr einfache Kiez-Gaststätten. Milchprodukte oder Milchreis etc.
gibt es dort zwar nicht mehr, der Name Milchbar blieb aber erhalten. Zu sehr soliden Preisen gibt es dort
polnische Hausmannskost wie Bigos, Piroggen oder hier den polnischen Dreiklang aus Kartoffeln, Fleisch und Rohkost.
Als die wohl einzigen Touristen im Raum lassen wir es uns leckerschmecken. Bezahlt haben wir pro Portion mit Getränk um die 6 Euro.

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof legen wir am der Gedenkstätte für nicht aufgegessene Piroggen einen Kranz nieder.

Danzig Hbf, Gdańsk Główny, ein vorerst letztes Mal. Auf Wiedersehen, Dreistadt! Bis hoffentlich bald einmal wieder bei dir am Meer.

Der Zug, mit dem wir nun ausreisen, ist so einer, wie wir ihn gestern schon gesehen haben:
Einer der beiden täglichen Direktzüge zwischen der Dreistadt und der preußischen Ostbahn,
auf der einst direkte Schnellzüge von Berlin nach Ostpreußen/Königsberg fuhren.
Diese erreichen wir über eine Verbindungskurve um Tczew/Dirschau herum etwa 30 Kilometer südöstlich von Danzig.
Auf offenen Fenster genießen wir die Fahrt in den wieder sonnig gewordenen Abend.

Klassische Nahverkehrszüge aus einem "Wibrator" SU/SP42 und Reisezugwagen dahinter kann man sich in Polen inzwischen
inzwischen an einer Hand abzählen. Der beschleunigte Personenzug von der Ostbahn in die Dreistadt und zurück ist einer
von ihnen. Aus irgendwelchen Gründen hat der ehedem als "Tur" bekannte Zug an verschiedenen Wochentagen eine um fast eine
Stunde längere Fahrzeit als an anderen. Das führt trotz zweigleisiger Strecke zu langen Unterwegs-Haltezeiten und
gibt uns die Möglichkeit für Fotohalte.
In Czersk lassen wir den Zug nach diesem Foto mit den Reichsbahn-Signalen
ohne uns vorausfahren, gehen noch kurz in der Stadt einkaufen und nehmen eine halbe Stunde später den folgenden
Bummelzug zu unserem Ziel Chojnice.

Chojnice ist eine westpreußische Kreisstadt mit etwa 40.000 Einwohnern. Bahnlinien, allesamt nicht elektrifiziert,
aus sechs oder sieben Richtungen laufen hier zusammen. Im Güterbahnhof sind lange Reihen ausgemusterter PKP-Fahrzeuge
(Kibel, Dieselloks...) abgestellt.
Auch hier ist die Vergangenheit allgegenwärtig. In der Architektur,
in den Bahnanlagen oder darin, dass wir im einstigen Bahnhofshotel zu Konitz/Westpreußen spontan
(ja, ohne Booking oder so - einfach hingehen und fragen) Quartier beziehen. Bild eines Bildes im Hotel.

Stadtbummel Chojnice.

Zuweg zum Bahnhof. Kein einziger Oberleitungsmast stört das Ensemble.

Auch innen wurde der Bahnhof wunderbar saniert.

Am nächsten Morgen verlasse ich das Quartier noch vor Julian, der vormittags den durchgehenden Ostbahn-D-Zug
direkt bis Kostrzyn an der deutschen Grenze nimmt. Ob dieser Zug wohl einmal auch die letzten 60 Ostbahn-Kilometer
bis Berlin durchlaufen darf?
Morgenlicht zur Stunde 5 in Chojnice. Über Poznań (wieder einmal) geht es nach Süden.

Mein Ziel ist die vierte und nun letzte Schmalspurbahn der Tour, nämlich die Srodaer Kreisbahn.
Auch sie verlor längst den "normalen" Verkehr und dient nun dem Ausflugsverkehr nach... nirgendwo.
Denn im südlichen Umland von Posen ist sie landschaftlich genauso öde wie die Strecke nach Wolsztyn oder die
Schmalspurbahn Rógow neulich. Aber egal - sie passt wunderbar in meine Rückreise. Als einige der wenigen Bahnen
fährt sie auch mit Dampf.

Thomas (oder: Tomasz?) ist auch schon da! Środa Stadtbahnhof.

Unterwegs im polnischen Hinterland auf 750 mm Spurweite.
Nachdem die Strecke lange Zeit kurz vor der Totaleinstellung stand, hat man sich nun dem Erhalt verschrieben.
Der sanierte Bahnübergang und die Bahnsteigpflasterung mögen davon Zeugnis ablegen.

Endstation Zaniemyśl.
Die eine Stunde Aufenthalt kann man an diesem Tage nutzen, um auf einen Ramsch-Flohmarkt zu gehen.
Sonst ist hier auf einem Sonntag Vormittag insgesamt recht wenig bis nichts los. Hauptattraktion ist der Dampfzug selbst.

In Środa steige ich schon am PKP-Bahnhof aus. Das erspart mir ein paar Meter Umsteigeweg und ermöglicht noch ein ich-bin-dagewesen-Bild bei der Ausfahrt.

Der nächste Zug zurück nach Poznań/Posen ist ein Bummelzug. Der ist aber bumsvoll mit Fußballfans.
Ich nehme daher den nachfolgenden Intercity, ein "Flirt"-Triebzug mit Fernverkehrsausstattung und Speisebereich.
Der ist zwar wieder reservierungspflichtig, aber das interessiert mich ebenso wenig wie den Schaffner.
Der schaut eher, dass er beim offensichtlichen Unwissen über den Umgang mit Interrail-Fahrkarten nicht seine Autorität verspielt.
In Posen steige ich dann in einen weiteren Intercity nach Wrocław/Breslau um und gehe gleich im Barwagen vor Anker.
Nach meiner Bestellung des Kotlet schabowy (kein Schaben-Kotelett, sondern ein Schweineschnitzel) beginnt die Bedienung/Bardame/Köchin in Personalunion, in der kleinen Küche Fleisch zu klopfen und Kartoffeln aufzusetzen. Beim Polen wird frisch gekocht!

Der polnische Dreiklang (II): Kartoffeln, Fleisch, Rohkost. Frisch gekocht im Intercity-Barwagen!

Von Breslau fahre ich in einem Zug der Niederschlesischen Eisenbahn,
die als so ziemlich einzige Wojewodschafts-Bahnen Interrail anerkennt,
Richtung deutsche Grenze bis Węgliniec vor.
Zweimal wöchentlich ist über das Wochenende zwischen Breslau und Berlin der Kulturzug/Pociąg do Kultury unterwegs.
Er dient eigentlich Tages- bzw. Wochenend-Besuchen von Deutschen in Breslau und bietet unterwegs ein abwechslungsreiches
kulturelles Rahmenprogramm. Heute, am Sonntag Abend passt dessen Zeitlage perfekt in meine Ausreisepläne.
Vor der frisch sanierten Bahnhofskathedrale von Węgliniec erwarte ich den DB-646 bei der Einfahrt mit dem Weitwinkeobjektiv.

Als einziger Zug fährt der Kulturzug von hier nicht via Görlitz, sondern über den sonst nur von Güterzügen genutzten Übergang Horka nach Deutschland. Die Begleiterin des Kulturzuges wundert sich über meinen Zustieg - nanu, hier sei ja noch nie ein Fahrgast zugestiegen, man hielt das hier immer für einen Betriebshalt wegen der Grenze.

Als Fahrgast-Exot, der auf dem Weg von Danzig nach Stuttgart eher zufällig in diesen Zug geraten ist,
werde ich von der Kuratorin im Triebwagen gleich gefragt, ob ich in das "Diskussionsabteil" mitkommen möge,
wo die Fahrgäste einfach über ihre Beziehungen und Erlebnisse mit und in Polen erzählen.
Irgendwie komme ich mir sofort vor wie in einem rollenden Wohnzimmer. Die Stimmung im Zug hat etwas von einer Familienfahrt.
Es geht unglaublich entspannt zu, jeder redet mit jedem, man kann Bücher und Spiele an den Platz ausleihen...
Am Ende gelangen wir zu der Erkenntnis, dass auch Danzig einen Kulturzug von Berlin verdient hätte.
Und im Spätsommer - kein Witz! - plant man an einem (einmaligen) Kulturzug Berlin - Warschau. Also, ganz großartig!
Ob mein Interrail (auf polnischer Seite) bzw. mein D-Ticket (auf deutscher Seite) in diesem Zug gelten - keine Ahnung. Angeblich nicht, Interrail laut bahn.de aber doch... Ein Schaffner lässt sich jedenfalls die ganze Zeit nicht blicken, und einen Schalter oder Automaten gab es in Węgliniec auch nicht. Bahn.de will mir für die paar Kilometer Węgliniec - Cottbus allen Ernstes Interrail verkaufen... wie krank! Liebe DB, vereinfache deine Tarife, dann muss ich auch nicht grau oder gar schwarz fahren.

Viel zu schnell vergeht die Fahrt im Kulturzug, die entlang der letzten Doppelmasten an (befahrenen) deutschen Bahnstrecken verläuft. So werde ich im deutsch-sorbisch beschilderten Bahnhof Cottbus das letzte Mal mit durchgestrichenen "L" oder Strichen über dem "O" an eine Woche durch das liebenswerte Land der begrenzten Unmöglichkeiten erinnert.

Abfahrt des Kultur-IRE weiter nach Berlin...

...und meine drei Tage Interrail für Polen. Also - bis zum nächsten Mal!

Heiko